Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
richtete sich langsam auf und suchte nach einer Möglichkeit, sie zu trösten. Aber er war nur ein einfacher Bauer und nicht geübt im Umgang mit Worten. Schweigend verließ er den Raum.
Sibilla blieb die ganze Nacht über am Fenster stehen. Und weinte.
72
Uberto wachte auf, weil seine Rippen schmerzten. Er brauchte einen Moment, um sich zu orientieren, dann begriff er: Er lag wie ein Bündel quer über dem Rücken eines Pferdes. Mit dem Bauch nach unten, Kopf und Beine baumelten auf beiden Seiten des Tieres herunter, und seine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt. Sein Kopf steckte in einem groben, kratzigen Sack, sodass er nicht sehen konnte, was vor sich ging. Er bemerkte bloß, dass sein Pferd trabte, denn durch die Bewegung taten ihm Brustkorb und Unterleib weh.
Nach den Geräuschen zu urteilen, ritten die beiden Männer neben ihm.
Uberto versuchte, durch den Stoff des Sackes etwas auszumachen, aber draußen war es stockfinster, und er konnte nichts erkennen. Allmählich konnte er wieder klar denken, und ein fürchterlicher Verdacht ließ das Blut in den Adern gefrieren: Er war ein Gefangener der Erleuchteten.
Allerdings fragte er sich, von welchem Nutzen er für die Heilige Vehme sein konnte. Ignazio hatte ihn zurückgelassen, ohne ihm das Versteck von Amezarak zu enthüllen, des letzten Engels, der in dem Rätsel genannt wurde. Offensichtlich betrachtete er ihn als unnütze Last, als hinderlich … Oder vielleicht hatte er ja geahnt, dass er entführt werden sollte? Vielleicht war das der Grund, weshalb er ihn zurückgelassen hatte? Konnte das sein?
Schließlich hatte ihn der Entstellte gewarnt. Er hatte ihm gesagt, dass er dem Händler nicht trauen, ihm nicht glauben sollte … Nein! Ignazio konnte ihn nicht hintergangen haben. Sein Blick war offen und ehrlich gewesen, als er ihn Sibilla anvertraut hatte. Aber was wusste er im Grunde von diesen Augen? Wie konnte er sich anmaßen, einen Mann durchschauen zu wollen, der tausend Winkelzüge kannte, der es gewohnt war, sich zu verstecken und stets zum eigenen Vorteil zu lügen? Zudem wusste er nicht mit Bestimmtheit, ob er wirklich von der Heiligen Vehme entführt worden war. Das Landgut des Händlers lag fernab des Weges, den das Rätsel vorgegeben hatte. Unmöglich, dass man ihn zufällig gefunden hatte, es sei denn, jemand hätte es ausgeplaudert … ausgespäht … verraten … Dodiko vielleicht? Unwahrscheinlich. Dieser Edelmann fürchtete die Erleuchteten und hätte sein Leben nicht dafür riskiert, mit ihnen in Verbindung zu treten. Und wenn es der Entstellte gewesen war? Das war schon eher möglich, er schien viel über Ignazio zu wissen, und wer konnte sagen, seit wann er ihn bereits beobachtete. Jedenfalls hatte Uberto viele Gründe, sich Sorgen zu machen: Was würde aus ihm? Würde man ihn verhören? Würde man ihn foltern und umbringen, so wie den armen Gothus Ruber und Conte Scalò?
Obwohl die Luft in dem Sack heiß und stickig war, liefen Uberto plötzlich eiskalte Schauer den Rücken hinab. Die Pferde hatten angehalten.
Slawnik saß ab und ging zu dem Lasttier, auf das die Geisel gebunden war. Er packte den Sack und warf ihn rücksichtslos zu Boden, dann betrachtete er ihn, während sich die aufgewirbelte Staubwolke langsam verzog. Er dachte an den Jungen, der bestimmt Schmerzen und schreckliche Angst hatte, und plötzlich überkam ihn ein unangenehmes Gefühl, als wäre er für einen Augenblick aus sich herausgetreten und beobachtete sich selbst voller Verachtung von außen.
So etwas empfand er zum ersten Mal. Er schnaubte wütend. Was sollte diese plötzliche Aufwallung von Menschlichkeit? War er vielleicht zu einer rückgratlosen Memme geworden? Nein, so war es nicht, das wusste er genau. Doch wieder dachte er an den Jungen und an das viele Unrecht, das er selbst verübt hatte, seit er Freirichter geworden war. Und wofür?, fragte er sich.
Nur für ein Buch.
Slawnik grunzte. Sollte es doch der Teufel holen, dieses verfluchte Buch! Warum verstand Dominus das nicht? Warum ließ er nicht von seinem Vorhaben ab und entschied sich, die Herrschaft mit Hilfe des Schwertes zu erringen anstatt durch Ränke? Slawnik hätte sein Leben für eine derartige Mission gegeben. Sollte man ihm ruhig ein Bein oder einen Arm abschlagen! Oder mochte er auf dem Schlachtfeld von einer Lanze durchbohrt sterben! Er war es leid, für irgendeine mysteriöse Handschrift Schändlichkeiten zu begehen! Er wollte seine Kräfte mit einem wahren Feind messen und
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