Der häusliche Herd
gelinde Vorwürfe daß er sein
Versprechen nicht einhalte, das er ihr gegeben hatte, an einem
Abend bei ihr vorzusprechen und seine Stimme am Klavier zu prüfen.
Sie hatte eben vor, eine zweite Aufführung der »Schwerterweihe« an
einem der ersten Sonnabende des kommenden Winters zu
veranstalten, um aber etwas recht
Vollständiges zum besten zu geben, wollte sie noch zwei
Tenorstimmen haben.
Wenn es Ihnen nicht ungelegen ist, sagte Berta eines Tages zu
Octave, können Sie nach dem Essen zu meiner Schwägerin hinaufgehen.
Sie werden bei ihr erwartet.
Sie bewahrte ihm gegenüber die einfache, aber höfliche Haltung
einer Brotherrin.
Das Hindernis ist nur, daß ich gerade heute abend in den Fächern
hier ein wenig Ordnung machen wollte.
Machen Sie sich keine Sorge darum; es gibt hier noch Leute für
diese Arbeit. Ich gebe Ihnen den Abend frei.
Gegen neun Uhr begab sich Octave zu Frau Duverdy, die ihn in dem
großen, weißen, goldverzierten Salon erwartete. Alles war bereit,
der Flügel offen, die Kerzen angezündet. Eine auf einem Tischchen
neben dem Instrumente stehende Lampe beleuchtete nur schwach das
Zimmer, dessen eine Hälfte dunkel blieb.
Da er die junge Dame allein sah, glaubte er, sich nach dem
Befinden des Herrn Duverdy erkundigen zu sollen. Sie antwortete
ihm, daß er sich ganz wohl befinde, daß aber seine Kollegen ihn mit
dem Referate in einem sehr wichtigen Prozesse betraut hätten, und
daß er soeben ausgegangen sei, um gewisse Daten zu sammeln.
Sie wissen ja: die Geschichte in der Provence-Straße, sagte sie
einfach.
Ah! Er ist damit betraut! rief Octave aus.
Es handelte sich um einen Skandal, der ganz Paris in Aufregung
versetzte; eine heimlich betriebene Unzucht; vierzehnjährige Kinder
wurden den Gelüsten hoher Persönlichkeiten ausgeliefert.
Clotilde fügte noch hinzu:
Das macht ihm viel zu schaffen; seit vierzehn Tagen ist seine
Abendmuße davon in Anspruch genommen.
Er sah sie an, da er durch Trublot erfahren
hatte, daß der Onkel Bachelard an diesem Tage Duverdy zum Essen
eingeladen habe, und daß man vorhabe, den Rest des Abends bei
Clarisse zuzubringen. Aber sie blieb sehr ernst, sprach von ihrem
Manne mit Würde, erzählte mit sehr züchtiger Miene ganz
außerordentliche Geschichten, die als Erklärung dienen sollten,
weshalb man ihren Mann nie in seiner ehelichen Behausung fand.
Der Tausend! Er hat viel zu tun! meinte er, verlegen durch ihren
unbefangenen Blick und gedrängt, etwas zu sagen.
Sie schien ihm besonders schön, so allein in dieser großen
leeren Behausung. Das rote Haar ließ das längliche Gesicht etwas
blaß erscheinen, dieses Gesicht mit dem Ausdruck der ruhigen
Beharrlichkeit eines Weibes, das wie in einem Kloster nur ihren
Obliegenheiten sich widmet. In graue Seide gekleidet, Brust und
Hüften in einen Fischbeinpanzer geschnürt, behandelte sie ihn mit
kühler Liebenswürdigkeit, wie wenn sie durch eine dreifache eherne
Scheidewand von ihm getrennt wäre.
Wollen wir anfangen? Sie entschuldigen doch meine
Zudringlichkeit? Machen Sie sich nur frei von jedem Zwange! Legen
Sie nur fest los; Herr Duverdy ist ja nicht zu Hause … Sie
werden ihn vielleicht schon gehört haben, wie er sich brüstete, daß
er die Musik nicht liebe?
Sie legte in diese Worte einen solchen Ausdruck von Verachtung,
daß er glaubte, ein Lächeln wagen zu dürfen. Das war übrigens der
einzige Tadel, der ihr vor der Welt gegen ihren Mann zu
entschlüpfen pflegte, erbittert, wie sie war, durch seine
Spötteleien über ihren Flügel; sie verriet hingegen nie den Haß und
den Widerwillen, den er ihr eingeflößt.
Wie kann man die Musik nicht lieben? wiederholte Octave, der ganz begeistert tat, um ihr angenehm zu
sein.
Sie setzte sich hierauf an das Klavier. Auf dem Pulte war eine
Sammlung alter Lieder aufgeschlagen. Sie hatte ein Stück aus »Zémir
und Azor« von Grétry gewählt. Da der junge Mann höchstens Noten
lesen konnte, ließ sie ihn diese erst halblaut entziffern. Hierauf
spielte sie die Einleitung, worauf er singend einfiel:
's ist Keiner so wilde,
Die Lieb' macht ihn milde.
Vorzüglich! rief sie ganz entzückt aus; eine Tenorstimme; kein
Zweifel mehr, ein Tenor! … fahren Sie fort, mein Herr!
Octave, dem dies sehr schmeichelte, sang im selben Tone die zwei
anderen Verse:
Ach, wonnig mein Herz erbebt,
Zu dir mein Blick sich, erhebt.
Sie strahlte vor Freude! Seit drei Jahren suchte sie das! Sie
erzählte ihm ihre bösen Erfahrungen, zum Beispiel mit Herrn
Trublot.
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