Der häusliche Herd
gehässigen Tone des Pariser Mädchens gegen die
Hausbesitzer.
Frau Gourd, die wegen ihrer schlechten Beine an ihren Sessel
gefesselt war, erhob sich jetzt mühselig. Da sie nicht imstande
war, in die Kirche mitzugehen, hatte Herr Gourd ihr empfohlen, die
Leiche des Hauseigentümers nicht vorbeipassieren zu lassen, ohne
sie zu grüßen. Das sei schicklich, meinte er. Sie trat mit einer
schwarzen Haube auf dem Kopfe in die Türe, und als die Leiche des
Hausbesitzers hinausgetragen ward, grüßte sie diese.
Als man vor der Rochus-Kirche ankam, wo die Einsegnung
stattfand, machte sich der Doktor Juillerat dadurch bemerkbar, daß
er nicht eintreten wollte. Es war übrigens eine so große
Menschenmenge in der Kirche versammelt, daß eine Gruppe von Herren
es vorzog, auf den Stufen der Kirche zu verbleiben. Das Wetter war
sehr mild, ein herrlicher Junitag. Da sie nicht rauchen durften,
sprachen sie über Politik. Die große Kirchenpforte war offen
geblieben; von Zeit zu Zeit drangen die mächtigen Klänge der Orgel
aus der schwarz ausgeschlagenen, durch brennende Wachskerzen wie
mit Sternen besäten Kirche.
Wissen Sie schon, meine Herren, daß Herr Thiers nächstes Jahr in
unserem Bezirke als Kandidat auftreten wird? kündigte Leo Josserand
mit ernster Miene an.
Ah! machte der Doktor. Aber Sie, der Republikaner, werden doch
nicht für ihn stimmen?
Der junge Mann, dessen politische Gesinnung in dem Maße sich abkühlte, wie Frau Dambreviile ihn in
weiteren Kreisen bekannt machte, erwiderte in trockenem Tone:
Warum nicht? er ist der erklärte Feind des Kaiserreichs.
Das Gespräch verwickelte sich immer mehr. Leo sprach von Taktik,
der Doktor Juillerat hingegen war der Mann der Grundsätze. Die Zeit
des Bürgertums sei um, meinte er, sie sei nur ein Hindernis auf dem
Wege zur Revolution. Seitdem das Bürgertum sich bereichere, sei es
ein hartnäckigeres Hemmnis der Zukunft als vormals der Adel.
Sie haben Furcht vor allem und werfen sich der schlimmsten
Reaktion in die Arme, sobald sie sich bedroht glauben.
Campardon tat verletzt.
Ich war Jakobiner, mein Herr, und Gottesleugner geradeso wie
Sie. Aber Gott sei Dank, ich bin zur Vernunft gekommen. Nein, ich
werde mich nicht einmal bis zu Ihrem Herrn Thiers versteigen. Das
ist ja ein Stänkerer mit allerlei krausen Ansichten.
Indessen erklärten sämtliche anwesenden Liberalen, Josserand,
Octave, selbst Trublot, dem die Politik sonst sehr gleichgültig
war, daß sie für Herrn Thiers stimmen würden. Der
Regierungskandidat war ein großer Schokoladefabrikant aus der
Honoriusstraße, ein Herr Dewinck, über den man sich sehr lustig
machte. Dieser Herr hatte nicht einmal die Unterstützung des
Klerus, der mit Besorgnis auf seine Verbindungen mit dem Hofe sah.
Campardon, der offenbar auf der Seite der Geistlichkeit stand,
verhielt sieh der Regierungskandidatur gegenüber sehr
zurückhaltend. Dann rief er ohne jeden Übergang plötzlich:
Hört, die Kugel, die euren Garibaldi am Fuße verwundet hat,
hätte ihn ins Herz treffen sollen!
Um nicht länger in der Gesellschaft dieser Herren gesehen zu werden, begab er sich in die Kirche, wo
die dünne Stimme des Abbé Mauduit auf die Klagelieder der Sänger
erwiderte.
Der schläft jetzt in der Kirche! sagte der Doktor mit
verächtlichem Achselzucken. Wie nötig wäre es, mit dem Kehrbesen
dazwischen zu fahren! …
Er interessierte sich leidenschaftlich für die Ereignisse in
Rom. Allein als jetzt Leo an die Worte des Staatsministers im
Senate erinnerte: »Das Kaiserreich ist aus der Revolution
hervorgegangen, aber nur um sie – hintanzuhalten«, da kamen sie
wieder auf die nächsten Wahlen zu sprechen.
Alle stimmten darin überein, daß dem Kaiser eine Lehre erteilt
werden müsse; doch die Namen der Kandidaten entzweiten sie bereits;
einige hatten schon schlaflose Nächte und sahen das rote Gespenst.
Herr Gourd, tadellos wie ein Diplomat gekleidet, hörte in der Nähe
diesen Gesprächen zu und zeigte die kühle Geringschätzung eines
Menschen, der nichts kennt als die Autorität.
Mittlerweile war die Trauerfeier zu Ende. Ein lauter, düsterer
Ausruf, der aus der Kirche drang, hieß sie schweigen.
»Requiescat in pace!«
»Amen!«
Auf dem Kirchhofe Pere-Lachaise sah, während die Leiche in die
Gruft hinabgelassen ward, Trublot, der den Arm Octaves keinen
Augenblick losgelassen hatte, wie der junge Mann abermals ein
Lächeln mit Frau Juzeur austauschte.
Ach ja, murmelte er; die kleine, unglückliche Frau …
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