Der häusliche Herd
neun Uhr zu Ende. Anständige Frauen müssen
um diese Zeit schon zu Hause sein.
Dann nahm er seinen Gang durch den Laden wieder auf und warf
zuweilen hämische Blicke auf den jungen Mann, den er verdächtigte,
daß er mit den Damen einverstanden sei oder zumindest sie
entschuldige.
Auch Octave beobachtete ihn heimlich mit unruhiger Miene.
Niemals hatte er ihn so nervös gesehen. Was geht denn vor? Als er
den Kopf wandte, bemerkte er im Hintergrunde des Ladens Saturnin,
der mit einem in Spiritus getränkten Schwamm einen Spiegel putzte.
Der Verrückte ward im Hause allmählich zu allerlei dienstlichen
Verrichtungen verwendet, damit er wenigstens seine Verköstigung
verdiene. An diesem Abend glühten die Augen Saturnins in einem
seltsamen Feuer. Er schlich sich hinter Octave heran und flüsterte
ihm zu, ohne August aus den Augen zu lassen:
Aufgepaßt! Er hat ein Papier gefunden! … Ja, er hat ein
Papier in der Tasche! Ich habe es gesehen … Darum
aufgepaßt!
Dann kehrte er rasch wieder zu seinem Spiegel zurück. Octave
begriff nichts von allem. Der Narr hatte ihm seit einiger Zeit eine
seltsame Zuneigung bekundet, die der Fügsamkeit einer Bestie glich,
die, einem Instinkte folgend, die Krallen einzieht. Was redete er
ihm von einem Papier? Er hatte an Berta
keinen Brief geschrieben; er erlaubte sich höchstens, sie mit
zärtlichen Blicken anzuschauen, und harrte der Gelegenheit, ihr ein
kleines Geschenk zu machen. Er hatte nach reiflicher Erwägung diese
Taktik angenommen.
Elf Uhr zehn Minuten! rief August plötzlich wütend aus.
Im nämlichen Augenblicke kehrten die Damen zurück. Berta trug
eine herrliche Robe von rosa Seide mit weißer Perlenstickerei,
während ihre Schwester in Blau, ihre Mutter in der Malvenfarbe noch
immer ihre abgetragenen Kleider trugen, die zu jeder Jahreszeit
überarbeitet wurden. Zuerst trat Frau Josserand ein, breit und
imposant, um ihrem Schwiegersohn die Vorwürfe in der Kehle zu
ersticken, die sie in einem an der Straßenecke gehaltenen
»Kriegsrate« vorausgesehen hatten.
Sie ließ sich herab, ihre Verspätung durch ein längeres
Herumbummeln vor den Schaufenstern der Kaufläden zu entschuldigen.
August, der sehr bleich war, ließ übrigens keine Klage vernehmen;
er gab eine kurze, trockene Antwort und hielt sichtlich an sieh.
Die Mutter, die mit ihrer vieljährigen Erfahrung in häuslichen
Zwistigkeiten ein Gewitter voraussah, verweilte noch kurze Zeit und
suchte ihn einzuschüchtern; dann entschloß sie sich aber doch
hinaufzugehen, nicht ohne vorher zu sagen:
Gute Nacht, meine Tochter, und schlafe wohl, wenn du lange leben
willst.
Ohne Rücksicht auf die Gegenwart Octaves und Saturnins zog
August, der sich nicht länger beherrschen konnte, sogleich ein
zerknittertes Papier aus der Tasche, das er seiner Frau mit den
Worten unter die Nase hielt:
Was ist das?
Berta, die den Hut noch nicht abgelegt hatte, errötete tief.
Das ist eine Rechnung, erwiderte sie.
Ja, eine Rechnung! Eine Rechnung für falsche
Haare, wenn du erlaubst! Als ob du keine auf dem Kopfe
hättest! … Doch davon will ich schweigen. Du hast die Rechnung
bezahlt, wie? Womit hast du sie denn bezahlt?
Immer mehr verwirrt, erwiderte die junge Frau endlich:
Mit meinem Gelde.
Mit deinem Gelde? Aber du hast ja kein Geld. Es wäre denn, daß
dir jemand Geld gegeben, oder daß du es hier genommen
hättest … Höre, ich weiß alles: du machst Schulden. Ich werde
alles dulden, nur keine Schulden, hörst du? Schulden niemals!
In diesem Ausruf drückte sich der ganze Abscheu eines
wirtschaftlichen Junggesellen aus, seine kaufmännische Ehrlichkeit,
die darin bestand, niemandem etwas zu schulden. Er erleichterte
sich ordentlich das Herz, warf seiner Frau ihre fortwährenden
Ausgänge vor, ihre Besuche in allen vier Ecken von Paris, ihre
Toiletten, ihren Luxus, den er nicht bestreiten konnte. Ist es
klug, bei ihrer Lage bis elf Uhr auszubleiben in rosa
Seidentoiletten mit weißer Perlenstickerei? Wenn man solche Wünsche
und Launen hat, muß man auch 500 000 Franken Mitgift haben. Er
kenne übrigens die Schuldige: es sei die schwachsinnige Mutter, die
ihre Kinder dazu erziehe, ganze Vermögen durchzubringen, ohne auch
nur soviel zu besitzen, daß sie ihnen am Tage der Hochzeit ein Hemd
auf den Leib geben könne.
Sprich nichts Übles von Mama! rief Berta erbittert, indem sie
den Kopf erhob. Man kann ihr nichts vorwerfen, sie hat ihr Pflicht
getan. Deine Familie aber sind saubere Leute. Menschen, die
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