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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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beteuerte ihr, es nicht absichtlich gesagt zu
haben. Dann schwiegen sie. Aber sie schliefen nicht und schauten
unverwandt in die Finsternis.
    Am folgenden Morgen fühlte Herr Josserand sich unwohl. Er war so
eigensinnig, wieder bis zwei Uhr nach Mitternacht Adreßschleifen zu
schreiben, trotzdem er seit einigen Tagen wiederholt über eine
stete Abnahme seiner Kräfte geklagt hatte. Er stand indessen auf
und kleidete sich an; allein in dem Augenblick, als er sich in sein
Büro begeben wollte, fühlte er sieh dermaßen erschöpft, daß er sich
entschließen mußte, seine Chefs, die Brüder Bernheim, durch einige
Zeilen von seinem Unwohlsein zu verständigen.
    Die Familie schickte sich an, ihren Milchkaffee zu trinken. Man
frühstückte ohne Tischtuch in dem Speisezimmer, das noch die fettigen Spuren des gestrigen Essens zeigte.
Die Damen erschienen in ihren Nachtleibchen, die frisch gewaschenen
Gesichter noch nicht völlig getrocknet, die Haare einfach
aufgesteckt. Als Frau Josserand sah, daß ihr Gatte zu Hause bliebe,
beschloß sie, Berta nicht länger vor ihm verborgen zu halten; diese
Geheimtuerei langweilte sie; auch fürchtete sie, daß August jeden
Augenblick heraufkommen könne, um eine Szene zu machen.
    Wie, du frühstückst hier? Was gibt es denn? fragte der Vater
überrascht, als er seine Tochter sah, die mit vom Schlaf
geschwollenen Augen, die volle Brust in den engen Schlafrock
Hortensens eingepreßt, dasaß.
    August hat mir geschrieben, daß er in Lyon bleibt, erwiderte
sie; und es kam mir der Einfall, den Tag mit euch zuzubringen.
    Das war eine zwischen den beiden Schwestern abgekartete Lüge,
und die Mutter schwieg dazu. Doch der Vater betrachtete seine
Tochter voll Unruhe; er ahnte ein Unglück: da er die Geschichte
sonderbar fand, wollte er Berta eben fragen, wie es ohne sie im
Laden unten gehe, als diese auf ihn zukam und mit ihrer heitern,
ruhigen Miene von ehemals ihn auf beide Wangen küßte.
    Ist's wahr? Du verbirgst mir nichts? murmelte er.
    Was denkst du? Warum sollte ich dir etwas verbergen?
    Frau Josserand begnügte sich einfach die Achseln zu zucken. Was
soll diese Vorsicht? Um vielleicht eine Stunde zu gewinnen – das
lohnt doch nicht die Mühe: der Vater müsse doch früher oder später
den Schlag erfahren.
    Das Frühstück war indessen recht heiter. Herr Josserand,
erfreut, sich wieder zwischen seinen beiden Töchtern zu befinden,
glaubte sich an die früheren Tage zurückversetzt, wo sie, kaum aus
ihren Betten gekrochen, ihn mit der Erzählung ihrer drolligen
Träume erheiterten. Für ihn hatten sie
noch immer den lieblichen Reiz der Jugend, wie sie mit den Ellbogen
auf den Tisch gestützt dasaßen, ihre Brötchen in den Kaffee tunkten
und mit vollem Munde lachten.
    Die Vergangenheit tauchte vollends vor ihm auf, als er ihnen
gegenüber das starre Gesicht ihrer Mutter sah, die überquellenden
Formen in ein altes, grünes Seidenkleid gepreßt, das sie in den
Morgenstunden ohne Mieder trug, um es völlig abzunützen.
    Doch eine verdrießliche Szene verdarb das heitere Frühstück.
Frau Josserand fragte die Magd plötzlich:
    Was essen Sie denn?
    Sie hatte Adele, die in Holzschuhen schwerfällig um den Tisch
die Runde machte, schon seit einer Weile beobachtet.
    Nichts, gnädige Frau, erwiderte die Magd.
    Wie, nichts?… Ich sehe Sie kauen; ich bin ja nicht blind. Sie
haben noch die Zähne voll. Vergebens ziehen Sie die Backen ein, man
sieht es doch.
    Adele ward verwirrt und wollte zurückweichen. Doch Frau
Josserand hatte sie am Rock erfaßt.
    Ich sehe Sie seit einer Viertelstunde von Zeit zu Zeit etwas aus
der Tasche ziehen und in den Mund stecken. Das muß wohl sehr gut
sein. Zeigen Sie einmal! …
    Sie griff in die Tasche der Magd und zog eine Handvoll
gesottener Pflaumen heraus: der Saft tropfte zu Boden.
    Was ist das? rief sie wütend.
    Das sind Pflaumen, gnädige Frau, sagte die Magd, die keck wurde,
als sie sich entdeckt sah.
    Sie machen sich über meine Pflaumen her; darum verschwinden sie
so rasch, ohne auf den Tisch zu kommen!… Sollte man es für möglich
halten! Pflaumen in einer Tasche!
    Sie beschuldigte sie, daß sie auch den Essig
austrinke. Alles verschwinde, man dürfe
keine Kartoffel mehr liegen lassen.
    Sie sind ein Abgrund, der alles verschlingt! rief sie.
    Geben Sie mir zu essen, erklärte Adele rundheraus, dann werde
ich Ihre Kartoffeln liegen lassen.
    Das war das Äußerste. Frau Josserand erhob sich majestätisch,
furchtbar.
    Schweigen Sie, Großmaul!… Ich

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