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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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zulächelte. Octave, der hinter ihr stand, lächelte ebenfalls.
An demselben Morgen hatten sie nach einem ernsten Gespräch die
Heirat beschlossen, die im Herbste stattfinden sollte. Die Freude
über dieses abgeschlossene Geschäft hatte sie so fröhlich
gestimmt.
    Guten Tag, Herr Abbé, rief heiter Frau Hédouin. Und Sie, Doktor,
immer auf den Beinen.
    Als der letztere sie zu ihrem guten Aussehen beglückwünschte,
fügte sie hinzu:
    Wenn ich allein auf der Welt wäre, würden Sie schlechte
Geschäfte machen.
    Sie plauderten eine kurze Weile. Der Arzt erzählte von Maries
Entbindung; Octave schien entzückt von der glücklichen Niederkunft
seiner früheren Nachbarin; als er jedoch erfuhr, daß sie eine
dritte Tochter bekommen, rief er:
    Kann denn ihr Gatte nicht einen Knaben fertigbringen! Sie hatten
gehofft, Herrn und Frau Vuillaume durch einen Knaben zu versöhnen,
und da kommt wieder eine Tochter. Das werden die Alten nimmermehr
ertragen!
    Das glaub' ich wohl, bemerkte der Doktor. Beide liegen schon
krank zu Bette, so sehr hat die Nachricht von derSchwangerschaft ihrer Tochter sie empört. Sie ließen
einen Notar holen, damit ihr Schwiegersohn selbst ihre Möbel nicht
erbe.
    Man scherzte. Der Priester allein blieb schweigsam, den Blick zu
Boden gesenkt. Frau Hédouin trug ihn, ob er leidend sei? Ja,
lautete die Antwort, er fühle sich sehr ermüdet und wolle sich Ruhe
gönnen. Es wurden noch einige Höflichkeiten ausgetauscht, dann
stieg er, noch immer begleitet vom Doktor, die Rochusstraße hinab.
Vor der Kirche rief der Arzt plötzlich:
    Auch eine schlechte Kundschaft, was?
    Wen meinen Sie? frug überrascht der Priester.
    Diese Dame, die Kaliko verkauft … Sie kümmert sich weder um
Sie noch um mich, braucht weder Gott noch Arzneien. Wenn's einem so
wohl geht, sind derlei Dinge nicht mehr von Interesse.
    Damit ging, er weiter, während der Priester in die Kirche
eintrat.
    Klares Sonnenlicht fiel in das Gotteshaus durch die großen
Fenster mit den weißen, gelb und zartblau geränderten Glasscheiben.
Kein Geräusch, keine Bewegung störte die Stille in dem öden
Kirchenschiffe, wo die Marmorverkleidungen, Kristalleuchter und die
vergoldete Kanzel in dem lautlosen Lichte zu schlafen schienen. Das
war wie die Feierlichkeit eines bürgerlichen Salons, von dessen
Möbeln die Überzüge für den großen Empfang am Abend entfernt worden
sind. Nur eine einzige Frau stand vor der Kapelle der heiligen
Jungfrau mit den sieben Wunden, die brennenden Wachskerzen
betrachtend, die verglimmend einen Geruch von heißem Wachs
verbreiteten.
    Der Abbé wollte in sein Zimmer gehen. Aber eine namenlose
Sehnsucht, ein heftiges Bedürfnis hielten ihn im Heiligtum zurück.
Es schien ihm, als spreche Gott zu ihm mit
einer weitschallenden, undeutlichen Stimme, und als könne er die
Gebote dieser Stimme nicht verstehen. Langsam durchschritt er die
Kirche und suchte in seiner eigenen Seele zu lesen, die Qualen
seines Herzens zu beschwichtigen; da plötzlich wurde er, als er
hinter dem Chor vorüberging, durch einen übernatürlichen Anblick in
seinem innersten Wesen erschüttert.
    Es war hinter den Marmorwänden der Madonnenkapelle, hinter der
vergoldeten Verzierung der Kapelle zur Anbetung, deren sieben
goldene Dolche, deren goldene Kandelaber und goldener Altar in dem
gelblichen Schatten der Fenster mit den vergoldeten Seheiben hell
schimmerten; es war im Hintergrunde dieses geheimnisvollen Dunkels
weit jenseits des Tabernakels ein in seiner Einfachheit
ergreifendes Bild: Christus an das Kreuz genagelt, neben ihm die
zwei schluchzenden Frauen Maria und Magdalena. Die weißen Statuen,
die sich in einem Oberlichte, dessen Ursprung man nicht sah, von
der nackten Mauer abhoben, schienen ihre Sockel zu verlassen,
vorwärts zu schreiten, sich zu vergrößern, und machten aus diesem
blutenden Menschentum, aus diesem Tod und diesen Tränen das
göttliche Zeichen des ewigen Schmerzes. Der Priester sank betroffen
auf die Knie. Er war es gewesen, der diesen Gips übertünchen, diese
Beleuchtung herstellen ließ; er selber hatte also diesen
Blitzschlag vorbereitet. Und jetzt, da die Plankenumfriedung
niedergerissen war, der Baumeister und die Arbeiter sich entfernt
hatten, war er der erste, den dieser Blitzschlag getroffen. Von der
schrecklichen Strenge der Kalvaria wehte ein Atem her, der ihn zu
Boden warf. Er fühlte, wie Gott ihn umschwebte, und beugte sich
unter diesen Atem, vom Zweifel zerrissen und gemartert von dem
entsetzlichen Gedanken,

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