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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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herausgekommen.
Sie lauschten, damit ihnen ja kein einziges Wörtchen entgehe; doch
waren selbst sie betroffen von der Heftigkeit Rachels und zogen
sich eine nach der andern zurück. Das übersteige nachgerade alle
Grenzen. Lisa drückte die Gefühle aller aus, indem sie sagte:
    Man kann wohl ein wenig tratschen, aber man fällt nicht so über
seine Herrenleute her!
    Die Bewohner entfernten sich Übrigens bald;
man ließ das Mädchen schreien, es ward eben unangenehm, Dinge
anzuhören, die doch schließlich jeden berühren mußten, denn zuletzt
begann sie gar, über das ganze Haus loszuziehen.
    Herr Gourd zog sich als erster in seine Loge zurück; er
bemerkte, es lasse sich mit einem wütenden Frauenzimmer nichts
anfangen. Frau Juzeur, deren zarte Seele durch diese grausame
Lüftung der Herzensgeschichten tief verletzt wurde, schien so
verstört, daß Trablot trotz seines Widerwillens sie hinaufbegleiten
mußte, um einer Ohnmacht vorzubeugen. War es nicht ein Unglück? Die
Dinge wickelten sich schon so hübsch ab, es blieb nicht der
geringste Stoff zu einem Skandal, das Haus war im Begriff, sein
früheres Aussehen der Wohlanständigkeit wiederzugewinnen, da mußte
so ein häßliches Geschöpf kommen und alle diese begrabenen
Geschichten, um die kein Mensch sich mehr kümmerte, wieder in
Erinnerung rufen.
    Ich bin nur eine Dienstmagd,
aber 
anständig
 dabei, rief sie aus vollen
Leibeskräften. Es gibt in eurer ganzen Baracke auch nicht eine Hure
von einer Dame, die mir gleichkäme! … Ja, ich gehe, denn ihr
ekelt mich an!
    Der Abbé Mauduit und der Doktor Juillerat stiegen langsam die
Treppen hinunter. Sie hatten alles gehört. Jetzt herrschte tiefe
Stille; der Hof war öde, die Stiege leer; die Türen schienen
vermauert, und nicht ein Fenstervorhang regte sich; hinter den
geschlossenen Türen herrschte ein würdevolles Schweigen.
    Unter der Einfahrt hielt der Priester an wie gebrochen von den
Ermüdungen.
    Wieviel Elend! seufzte er traurig.
    Der Arzt nickte mit dem Kopfe und antwortete:
    So ist das Leben.
    So pflegten sie, wenn sie miteinander von einem
Sterbenden oder von einer Geburt kamen,
ihre Gedanken auszutauschen. Trotz der Verschiedenheit ihrer
Überzeugungen einigten sie sich manchmal in der Gebrechlichkeit
aller menschlichen Dinge. Waren doch beide in die nämlichen
Geheimnisse eingeweiht: nahm der Priester den Damen die Beichte ab,
so war andererseits der Arzt Geburtshelfer bei den Müttern und
pflegte deren Töchter schon seit dreißig Jahren in ihren
Krankheiten.
    Gott verläßt sie, begann wieder der Abbé.
    Mischen Sie doch nicht Gott darein, sprach der andere. Sie sind
entweder krank oder schlecht erzogen. Das erklärt alles.
    Er bekämpfte lebhaft die Anschauung des Priesters. Er griff das
Kaisertum heftig an: in einer Republik würden die Sachen sicherlich
viel besser gehen. Aber aus den Oberflächlichkeiten dieses
mittelmäßigen Menschen leuchteten hin und wieder die zutreffenden
Bemerkungen des alten Praktikers hervor, der die Verhältnisse
seines Stadtteiles aufs genaueste kannte. Er tadelte die Frauen,
die zum Teil durch eine puppenmäßige Erziehung verdorben und
verdummt, zum Teil aber durch ein erbliches Nervenleiden in ihren
Gefühlen und Leidenschaften vergiftet, allesamt schmutzig und dumm,
ohne Lust und ohne Vergnügen zu Fall kommen. Übrigens war er in
seinen Betrachtungen auch gegen die Männer nicht schonender; diese
nannte er lockere Zeisige, die hinter ihrer erheuchelten feinen
Haltung die Existenz vollends verderben; aus seiner Erregtheit
eines Jakobiners klang das Totengeläute einer Klasse heraus, der
Verfall des Bürgertums, dessen morsche Stützbalken schon
zusammenknickten Dann verlor er wieder den Boden unter seinen Füßen
und sprach von der allgemeinen Glückseligkeit, die kommen
müsse.
    Ich bin religiöser als Sie, schloß er seine
Auseinandersetzungen.
    Der Priester schien seinen Worten
stillschweigend zu lauschen; doch hatte er ihm nicht zugehört, so
sehr war er in seine dumpfen Träumereien versunken. Nach kurzer
Pause sagte er endlich mit einem tiefen Seufzer:
    Wenn sie unbewußt handeln, möge Gott sich ihrer erbarmen!
    Dann verließen sie das Haus und schritten langsam der Neuen
Augustinstraße zu. Die Furcht, zuviel gesprochen zu haben, ließ sie
verstummen, denn sie hatten beide in ihrer Stellung eine gewisse
Schonung zu beobachten. An dem Ende der Straße gewahrten sie Frau
Hédouin, die von der Türe des Ladens »Zum Paradies der Damen« aus
ihnen

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