Der häusliche Herd
wollte sie um die Taille fassen;
aber sie entwand sich ihm ohne Heftigkeit und entschlüpfte seinen
Armen lachend mit einer Miene, als denke sie, er scherze nur.
Nein, lassen Sie mich, wenn Sie wollen, daß wir gute Freunde
bleiben.
Also nicht? fragte er leise.
Was nicht? Was wollen Sie sagen? Ach, meine Hand, so viel Sie
wollen!
Er ergriff wieder ihre Hand. Aber diesmal öffnete er sie und
küßte sie auf die innere Fläche. Die Augen halb geschlossen, sein
Benehmen immer als Scherz auffassend, spreizte sie die Finger
auseinander wie eine Katze, die ihre Krallen hervorstreckt, damit
man sie unter den Pfoten kitzle. Sie gestattete ihm nicht weiter
als bis zum Handgelenk zu gehen. Am ersten Tage war dies die
geheiligte Linie, wo das Übel begann.
Der Herr Pfarrer kommt! meldete plötzlich Luise, von einem Gange
zurückkehrend.
Die Waise hatte eine gelbe Farbe und die zerstörten Züge der
Mädchen, die man an den Haustüren aussetzt. Sie brach in ein blödes
Lachen aus, als sie den Herrn gewahr wurde, der aus der Hand von
der gnädigen Frau aß. Aber auf einen Blick von dieser zog sie sich
zurück. Ich fürchte sehr, daß ich aus ihr
nichts Rechtes machen werde, bemerkte Frau Juzeur. Schließlich muß
man es versuchen, eine dieser armen Seelen auf den rechten Weg zu
leiten … Warten Sie, Herr Mouret, gehen Sie hier.
Sie führte ihn in den Speisesaal, um den Salon dem Priester zu
überlassen, den Luise hineinführte. Hier lud sie ihn ein, auf einen
Plausch wiederzukommen. Sie werde wenigstens einen Gesellschafter
haben; sie sei immer so allein, so traurig! Glücklicherweise finde
sie Trost in der Religion.
Abends gegen fünf gewährte es Octave eine gewisse Erholung, sich
bei den Pichon zum Essen einzufinden. Dieses Haus erschreckte ihn
allmählich. Nachdem er sich anfänglich von der reichen Vornehmheit
des Treppenhauses mit einem provinzialen Respekt hatte erfüllen
lassen, ging er jetzt zu einer übertriebenen Verachtung über im
Hinblick auf das, was er hinter den hohen Mahagonitüren zu erraten
glaubte. Er kannte sieh gar nicht mehr aus: diese Bürgersfrauen,
deren Tugend ihn anfangs befremdete, schienen ihm jetzt dem ersten
Winke zu gehorchen; und sowie eine von ihnen Widerstand leistete,
war er voll Überraschung und Groll.
Marie errötete vor Freude, als sie ihn das Paket Bücher auf das
Büfett legen sah, die er für sie am Morgen geholt hatte.
Sind Sie artig, Herr Octave! wiederholte sie. Danke, danke! Wie
gut es sich trifft, daß Sie so zeitig gekommen sind! Wollen Sie ein
Glas Zuckerwasser mit Kognak? das fördert den Appetit.
Er nahm an, um ihr gefällig zu sein. Alles erschien ihm
liebenswürdig bis auf Pichon und die Vuillaume, die rings um den
Tisch herum plauderten, langsam ihre Unterhaltung von jedem
Sonntage wiederkäuend. Marie lief von Zeit
zu Zeit in die Küche, wo sie einen Hammelbraten bereitete. Er
wagte, sie scherzend bis dorthin zu verfolgen; vor dem Herde faßte
er sie um den Leib und küßte sie auf den Nacken. Ohne den
geringsten Schrei, ohne das mindeste Zittern wandte sie sich um und
küßte ihn ihrerseits mit ihren stets kalten Lippen. Diese Frische
erschien dem jungen Mann köstlich.
Was ist's mit Ihrem neuen Minister? fragte er Herrn Pichon, in
das Zimmer zurücktretend.
Der Beamte fuhr erschrocken in die Höhe. Soll es wieder einen
neuen Unterrichtsminister geben? Er wußte nichts davon; in den
Büros beschäftigte man sich niemals damit.
Das Wetter ist so schlecht! setzte er dann ohne Übergang fort.
Nicht möglich, eine reine Hose zu behalten.
Frau Vuillaume sprach von einem Mädchen der Vorstadt
Batignolles, das sich schlecht aufgeführt hatte.
Sie glauben mir nicht, mein Herr, sagte sie. Sie war vollkommen
wohlerzogen; aber sie langweilte sich so sehr bei ihren Eltern, daß
sie sich zweimal vom Fenster auf die hinunterstürzen wollte… Man
werde heutzutage nicht mehr klug aus der Welt.
Man lasse die Fenster vergittern, sagte einfach Herr
Vuillaume.
Das Essen war köstlich. Die ganze Zeit über dauerte diese
Unterhaltung fort an der bescheidenen Tafel, die eine kleine Lampe
beleuchtete. Pichon und Herr Vuillaume kamen auf das
Beamtenpersonal des Ministeriums zurück und hörten nicht mehr auf,
von den Chefs und Unterchefs zu sprechen. Der Schwiegervater gab
denen aus seiner Zeit den Vorzug; dann erinnerte er sich, daß sie
schon gestorben seien. Der Schwiegersohn hingegen sprach von den
neuen und verlor sich dabei in eine unlösbare Verwirrung von Namen.
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