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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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es nur geben kann: das sieht man an seiner
Wäsche.
    Er mußte jetzt beiseite treten, und auch Octave trat einen
Augenblick in die Loge ein, um den Wagen der Mieter vom zweiten
Stockwerke, die ins Boulogner Gehölz fuhren, vorüber zu lassen. Die
Pferde bäumten sich, vom Kutscher mit straffen Zügeln
zurückgehalten, und als der geschlossene Landauer in der Vorhalle
durchrollte, waren durch die Wagenfenster zwei schöne Kinder
sichtbar, deren lächelnde Köpfchen die unbestimmten Profile von
Vater und Mutter verbargen. Herr Gourd wandte sich zurück, höflich,
aber kalt.
    Das sind Leute, die nicht viel Lärm im Hause machen; bemerkte
Octave.
    Niemand macht Lärm, sagte trocken der
Hausmeister. Jedermann lebt, wie er's versteht, das ist alles. Es
gibt Leute, die zu leben verstehen, und wieder Leute, die nicht zu
leben verstehen.
    Die Leute vom zweiten Stockwerke wurden strenge beurteilt, weil
sie niemanden besuchten. Trotzdem schienen sie reich zu sein; aber
der Mann arbeitete in Büchern, und Herr Gourd sprach mißtrauisch,
mit verachtender Miene von ihm, um so mehr als man nicht wußte, was
das Ehepaar da drinnen treibe mit dem Anschein, als ob es keines
Menschen bedürfe und stets vollkommen zufrieden sei. Das kam ihm
nicht geheuer vor.
    Octave öffnete eben die Türe des Stiegenhauses, als Valerie
zurückkehrte. Er drückte sich höflich beiseite, um sie vorbeigehen
zu lassen.
    Sie befinden sich wohl, gnädige Frau?
    Ja, mein Herr, ich danke.
    Sie war ganz atemlos. Während sie hinaufging, betrachtete er
ihre schmutzigen Stiefelchen und dachte dabei an das Frühstück mit
dem Kopfe nach unten und den Beinen nach oben, von dem die
Dienstboten vorhin sprachen. Zweifelsohne kam sie zu Fuß zurück,
weil sie keine Droschke finden konnte. Ein fader, warmer Geruch
entstieg ihren feuchten Röcken. Die Müdigkeit, eine gewisse
Mattigkeit in allen ihren Gliedern zwang sie, sich von Zeit zu Zeit
wider Willen mit der Hand auf die Rampe zu stützen.
    Welch häßlicher Tag, nicht wahr, gnädige Frau?
    Schrecklich, mein Herr … Und dabei so schwül.
    Im ersten Stockwerk grüßten sie einander. Aber mit einem raschen
Blick hatte er ihr arg mitgenommenes Gesicht bemerkt, ihre vom
Schlafe aufgedunsenen Augenlider, ihr zerzaustes Haar unter dem in
aller Eile aufgesetzten Hute. Immer weiter hinaufsteigend, dachte
er darüber nach, von Neugierde und Zorn
erfüllt. Nun – warum nicht mit ihm? Er ist weder dümmer noch
häßlicher als die anderen.
    Im dritten Stockwerke erwachte vor der Tür der Frau Juzeur die
Erinnerung an sein Versprechen vom Tag zuvor. Ein Gefühl der
Neugierde überkam ihn bezüglich dieser kleinen, so zurückhaltenden
Frau mit den grünen Augen. Er läutete. Frau Juzeur kam selbst, ihm
zu öffnen.
    Ah, mein lieber Herr, sind Sie liebenswürdig! … Treten Sie
doch ein!
    Die Wohnung war von einer Freundlichkeit, die ein wenig dumpfig
roch: überall Tapeten und Vorhänge, die Möbel von einer
Eiderdunen-Weichheit, die Luft lauwarm. Im Salon, wo die doppelten
Vorhänge die andächtige Stimmung einer Sakristei hervorriefen,
mußte Octave auf einem sehr breiten und niedrigen Sofa Platz
nehmen.
    Hier die Spitzen, sagte Frau Juzeur und erschien mit einer
Schachtel, die mit allerlei weiblichem Tand gefüllt war. Ich will
jemandem ein Geschenk damit machen und bin begierig, den Wert der
Spitzen kennen zu lernen.
    Es war ein Stück alter englischer Spitzen von seltener
Schönheit. Octave prüfte sie mit Kenneraugen und schätzte sie auf
dreihundert Franken. Ohne länger zu warten, beugte er sich dann, da
beider Hände eben in den Spitzen wühlten, herab und küßte ihre
Finger, Finger so schmal und klein wie die eines kleines
Mädchens.
    Aber, Herr Octave, in meinem Alter. Wo denken Sie bin! murmelte
Frau Juzeur ohne jeden Groll.
    Sie zählte zweiunddreißig Jahre und nannte sich sehr alt. Sie
machte ihre gewohnte Anspielung auf ihre Unglücksfälle: mein Gott!
ja; nach zehn Tagen der Ehe war der Grausame eines Morgens fort und
kam nicht wieder, kein Mensch wußte weshalb.
    Sie begreifen, wiederholte sie, ihre Augen
zur Decke erhebend, daß nach solchen Schlägen es mit einer Frau zu
Ende ist.
    Octave behielt ihre kleine warme Hand, die sich in der seinigen
verlor und drückte von Zeit zu Zeit flüchtige Küsse auf die Finger.
Sie wandte ihre Blicke ihm wieder zu, betrachtete ihn mit einer
unbestimmten und zärtlichen Miene; dann sagte sie in mütterlichem
Tone das einzige Wort:
    Kind!
    Er glaubte sich ermutigt und

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