Der häusliche Herd
ihrer verschlagenen Miene um ihn herum, als ob sie etwas
suche.
Er wich erschrocken, errötend zurück, als er alle diese großen
und kräftigen Damen mit ihren starken Hüften um sich sah. Allein
die Damen fühlten die Notwendigkeit, die Angelegenheit beizulegen. Valerie hatte wieder zu
schluchzen angefangen, während der Doktor beschäftigt war, ihr
Umschläge auf die Schläfen zu legen. Sie verständigten sich mit
einem einzigen Blick; der ihnen allen gemeinsame Geist der Abwehr
brachte sie einander näher. Sie bemühten sich, dem Gatten den Brief
zu erklären.
Verdammt, sagte Trublot zu Octave, die Sache ist ja gar nicht so
schwer: man sagt ihm, der Brief sei an das Stubenmädchen gerichtet
gewesen.
Frau Josserand hörte ihn. Sie wandte sich um und blickte ihn
voll Bewunderung an. Dann sagte sie zu Theophil gewendet:
Glauben Sie, daß eine Frau sich soweit demütigen werde, sich zu
entschuldigen, wenn sie so roh angegriffen wird? Aber ich darf
reden … Den Brief hat Franziska verloren, das Stubenmädchen,
das Ihre Frau wegen ihrer schlechten Aufführung davonjagen
mußte … Nun, sind Sie zufrieden? Fühlen Sie nicht die
Schamröte in Ihr Gesicht steigen?
Der Gatte zuckte zuerst die Achseln. Allein alle diese Damen
bewahrten ihren Ernst und entgegneten auf seine Einwendungen mit
Vernunftgründen. Er war schon halb und halb wankend gemacht, als
noch Frau Duverdy in Zorn ausbrach, sein Benehmen abscheulich fand
und erklärte, daß sie ihn als ihren Bruder verleugnen werde. Er war
gebrochen, besiegt und sank in seinem Bedürfnis, umarmt zu werden,
um Vergebung stammelnd, in die Arme Valeriens. Die Szene war
rührend. Selbst Frau Josserand zeigte sich tiefbewegt.
Es ist doch immer besser, sich zu verständigen, sagte sie
erleichtert. Der Tag wird denn doch nicht so übel enden.
Als man Valerie wieder angekleidet hatte und sie am Arme ihres Gatten im Ballsaal erschien, schien
allgemeine Freudigkeit platzzugreifen. Es war nahezu drei Uhr; die
Gäste schickten sich an heimzukehren; allein das Orchester stimmte
mit einer letzten Anstrengung die Quadrille an.
Hinter dem wiederversöhnten Ehepaar lächelten die Herren
spöttisch. Ein boshaftes Wort Campardons über den armen Theophil
versetzte Frau Juzeur in lebhafte Heiterkeit. Die jungen Mädchen
drängten sich heran, um Valerie anzuschauen. Als sie die empörten
Blicke der Mütter sahen, stellten sie sich ganz einfältig, als
begriffen sie nichts.
Mittlerweile mußte Berta, die endlich mit ihrem Gatten tanzte,
diesem ein Wort über den Vorfall gesagt haben, denn er wandte jetzt
den Kopf und sah seinen Bruder mit dem Erstaunen und der
Überlegenheit eines Mannes an, dem Ähnliches nie passieren kann.
Jetzt ward der letzte Galopp getanzt; die Gesellschaft überließ
sich ohne jede Zurückhaltung dem tollen Tanze in der erstickenden
Hitze des Saales, in dem rötlichen Lichte der Kerzen, deren
flackernde Flammen einen Schimmer auf die Leuchtereinsätze
warfen.
Sie stehen auf gutem Fuß mit ihr? fragte Frau Hédouin Herrn
Octave, an dessen Arm sie eine Runde durch den Saal machte.
Der junge Mann glaubte bei dieser Frage, ein leises Beben durch
diese gerade und ruhige Taille wahrzunehmen.
Durchaus nicht, sagte er; man hat mich ganz wider meinen Willen
in diese Geschichte hineingemengt, die mich sehr langweilt …
Der arme Teufel hat alles hinabgeschluckt.
Man hat sehr übel gegen ihn gehandelt, erklärte sie mit ihrer
ernsten Stimme. Octave hatte sich ohne
Zweifel geirrt. Als Frau Hédouin ihren Arm losmachte, war sie
völlig ruhig, ihre Augen blickten ganz unbefangen drein.
Am Schluß des Balles gab es einen Skandal. Der Onkel Bachelard,
der am Büfett den letzten Rest seiner Vernunft vertrunken, hatte
sich mit Hilfe von Servietten und zweier Orangen einen großen
Ammenbusen gemacht, den Rock aufgeknöpft und tanzte so vor Gueulin
einen Cancan von äußerster Schamlosigkeit.
Die ganze Gesellschaft widersprach. Wenn man auch viel Geld
verdient, sagte man, darf man doch gewisse Grenzen der
Schicklichkeit nicht überschreiten, besonders in Gegenwart von
jungen Mädchen. Herr Josserand war beschämt und verzweifelt und
ließ seinen Schwager hinausführen; Herr Duverdy machte kein Hehl
daraus, daß ihn dieser Auftritt angeekelt habe.
Um vier Uhr kehrten die Neuvermählten in die Choiseul-Straße
zurück. Sie hatten Theophil und Valerie in ihrem Wagen mitgenommen.
In den zweiten Stock hinaufsteigend, wo für sie eine Wohnung
eingerichtet war, trafen sie
Weitere Kostenlose Bücher