Der häusliche Herd
Küsse. Octave
wollte sich höflich zurückziehen. Aber man zürnte ihm darob: er
könne bleiben, er gehöre ja zur Familie. Es machte ihm viel Spaß,
diese Szene zu betrachten. Anfangs verlegen, wandte Campardon die
Augen von den beiden Damen ab, nach Atem ringend und eine Zigarre
suchend; unterdessen wechselte Lisa, die mit lautem Geräusch den
Tisch abräumte, vielsagende Blicke mit der erstaunten Angela.
Das ist deine Kusine, sagte endlich der Architekt zu seiner
Tochter. Du hast uns von ihr sprechen hören … Umarme sie
doch.
Sie umarmte sie mit ihrer mürrischen Miene, beunruhigt von dem
forschenden Blicke, mit dem Gasparine ihren Körperbau prüfte,
nachdem sie bezüglich ihres Alters und ihrer Erziehung einige
Fragen gestellt hatte. Als man in den
Salon ging, zog sie vor, Lisa zu folgen, die heftig die Türe hinter
sich schloß und unbekümmert darum, daß man sie hören könne,
sagte:
Das macht sich wirklich drollig hier!
Im Salon begann Campardon, noch immer fieberhaft erregt, sich zu
verteidigen.
Auf Ehrenwort! der gute Gedanke ist nicht von mir … Rosa
wollte versöhnen. Jeden Morgen seit acht Tagen wiederholte sie mir:
»Hole sie doch … « So habe ich sie denn endlich geholt.
Da er das Bedürfnis fühlte, Octave zu überzeugen, führte er ihn
zum Fenster.
Wie? Weiber bleiben immer Weiber. Mir war es lästig, weil ich
verdrießliche Geschichten fürchte. Die eine rechts, die andre
links, da war ein Zusammenstoß möglich … Aber ich mußte
nachgeben. Rosa versichert, daß wir alle zufriedener sein würden.
Schließlich werden wir es versuchen. Es hängt jetzt von ihnen
beiden ab, meine Lebensweise einzurichten.
Inzwischen setzten sich Rosa und Gasparine Seite an Seite aufs
Sofa. Sie sprachen von der Vergangenheit, von den in Plassans beim
guten Vater Domergue verlebten Tagen. Rosa hatte damals eine blasse
Farbe, die zarten, schmächtigen Glieder eines unter dem Wachstume
leidenden jungen Mädchens, während Gasparine schon mit fünfzehn
Jahren entwickelt, groß und begehrenswert war mit ihren großen
Augen. Sie betrachteten einander heute und erkannten sich nicht.
Die eine so frisch und üppig in ihrer« erzwungenen Keuschheit, die
andere verwelkt infolge ihres Lebens voll nervöser
Leidenschaftlichkeit.
Gasparine litt einen Augenblick an ihrem gelben Teint und allzu
eng zugeschnittenen Kleide der in Seide gekleideten Rosa gegenüber,
die unter ihren Spitzen die wollüstige Zartheit ihres weißen Halses entblößte. Allein sie
unterdrückte diese Regung der Eifersucht und nahm sofort wieder die
Haltung einer armen Verwandten an, die sich vor den Toiletten und
der Anmut ihrer Kusine beugt.
Und deine Gesundheit? fragte sie halblaut. Achilles erzählte
mir … Geht es noch nicht besser?
Nein, nein, antwortete Rosa trübe. Du siehst, ich esse, ich sehe
gut aus … Es gibt sich nicht und wird sich niemals wieder
geben.
Sie weinte, worauf Gasparine ihrerseits sie in ihre Arme nahm,
an ihre flache, leidenschaftliche Brust drückte, während Campardon
herbeieilte, sie zu trösten.
Warum weinst du? fragte sie mit wahrer Mütterlichkeit. Die
Hauptsache ist, daß du nicht mehr leidest … Was ist's denn
weiter, wenn du immerfort Leute um dich hast, die dich lieben?
Rosa beruhigte sich, sie lächelte bereits in ihren Tränen.
Sodann umfaßte der Architekt, hingerissen von der Zärtlichkeit,
beide in einer einzigen Umarmung und küßte sie stammelnd.
Jawohl, wir werden uns sehr heben, wir werden dich sehr lieben,
mein armes Schätzchen … Du sollst sehen, wie sich das machen
wird, jetzt, da wir vereinigt sind.
Dann wandte er sich zu Octave und sagte:
Ach, mein Lieber, man mag sagen, was man will: es geht doch
nichts über eine Familie!
Der Schluß des Abends war köstlich. Campardon, der gewöhnlich
nach Tische einschlief, wenn er zu Hause blieb, fand seine
Künstlerlaune wieder, die Possen und burschikosen Lieder der
»Künstlerschule«. Als gegen elf Uhr Gasparine sich zurückzog,
wollte Rosa sie begleiten trotz der Schwierigkeit, die sie empfand,
an diesem Tage zu gehen, und rief über die
Rampe geneigt, in der tiefen Stille der Treppe:
Komm' recht oft wieder!
Den nächsten Tag bemühte sich Octave, neugierig geworden, im
Laden zum »Paradies der Damen« die Kusine zum Sprechen zu bewegen,
als er mit ihr eben eine Ladung frisch angelangter Wäsche übernahm.
Sie antwortete jedoch in kurzem Tone; er fühlte das Feindselige
heraus, sie war offenbar böse darüber, ihn tags zuvor
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