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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Octave, der ebenfalls schlafen ging.
Der junge Mann wollte aus Höflichkeit beiseite treten, um ihnen
Platz zu machen: allein Berta machte die nämliche Bewegung, und so
stießen sie aneinander.
    Verzeihung, mein Fräulein! sagte er.
    Das Wort »Fräulein« versetzte sie in eine heitere Stimmung. Sie
sah ihn an, und er erinnerte sich jenes ersten Blickes, den sie auf
dieser Treppe ausgetauscht hatten, eines Blickes voll Frohsinn und
Unbefangenheit, dessen bezaubernde Wirkung er jetzt wiederfand.
Vielleicht verstanden sie einander; sie errötete, während er
inmitten der tiefen Stille seinen einsamen Weg in das vierte
Stockwerk fortsetzte. August, den noch
immer die Migräne plagte, war in die Wohnung vorausgeeilt, wo jetzt
nach und nach die Familie ankam. Im Augenblicke, als sie schieden,
schloß Valerie, einer plötzlichen Regung nachgebend, Berta in ihre
Arme und küßte sie, wobei sie ihr zuflüsterte:
    Ich wünsche, daß Sie glücklicher seien als ich.

Kapitel 9
     
    Als zwei Tage später gegen sieben Uhr Octave zu den Campardons
zum Essen kam, traf er Rosa allein in einen Schlafrock von
cremefarbiger Seide gekleidet, der mit weißen Spitzen eingesäumt
war.
    Erwarten Sie jemanden? frug er.
    Nicht doch, erwiderte sie, ein wenig verlegen. Wir setzen uns zu
Tische, sobald Achilles zurückkehrt.
    Der Architekt war in letzter Zeit unordentlich, war niemals da
zur Stunde der Mahlzeit, langte sehr gerötet an, mit verstörter
Miene, die Geschäfte verfluchend. Dann machte er sich jeden Abend
aus dem Staub, erschöpfte sich in Vorwänden, indem er von
Zusammenkünften in den Cafés sprach, oder Versammlungen erfand, die
in entfernten Lokalen stattfänden.
    Octave leistete in solchen Fällen Rosa öfters Gesellschaft bis
elf Uhr, denn er begriff, daß der Gatte ihn als Pensionär behielt,
um seine Frau zu beschäftigen. Sie beklagte sich nur in milden
Ausdrücken und brachte ihre Befürchtungen vor:
    Mein Gott! sie ließ Achilles volle Freiheit, nur sei sie so
unruhig, wenn er nach Mitternacht nach Hause komme! Finden Sie ihn nicht traurig seit einiger Zeit? frug
sie mit einer zärtlich ängstlichen Stimme.
    Der junge Mann hatte es nicht bemerkt.
    Ich finde ihn vielleicht von Geschäften in Anspruch genommen…
Die Arbeiten in der Rochus-Kirche machen ihm viel Sorge.
    Doch sie schüttelte den Kopf, ohne weiter dabei zu beharren.
Dann zeigte sie sich sehr gütig gegen Octave, fragte ihn wie
gewöhnlich, wie er seinen Tag zugebracht habe, im wohlwollenden
Tone einer Mutter oder Schwester. Seit den nahezu neun Monaten, daß
er bei ihnen aß, behandelte sie ihn wie ein Kind des Hauses.
Endlich erschien der Architekt.
    Guten Abend, mein Kätzchen, guten Abend, mein Schatz, sagte er,
sie mit der Zärtlichkeit des guten Ehemannes küssend. Wieder hat
mich ein Dummkopf eine Stunde auf der Straße zurückgehalten.
    Octave hielt sich beiseite, er hörte sie einige Worte mit leiser
Stimme wechseln.
    Wird sie kommen?
    Nein, wozu? und überhaupt rege dich nicht auf.
    Du hast mir geschworen, daß sie kommen werde.
    Gut! ja, sie wird kommen. Bist du zufrieden? Ich habe es nur um
deinetwillen getan.
    Man setzte sich zu Tische. Während der ganzen Zeit des Essens
war von der englischen Sprache die Rede, welche die kleine Angela
seit vierzehn Tagen lernte. Campardon hatte plötzlich die
Notwendigkeit des Englischen für ein Fräulein herausgefunden, und
da Lisa gerade von einer Schauspielerin kam, die aus London
zurückkehrte, wurde jede Mahlzeit mit der Besprechung der Namen der
Speisen, die sie auftrug, ausgefüllt. An diesem Abend mußte nach
langen Versuchen bezüglich der Aussprache des Wortes »Rumsteak«, der Braten wieder weggetragen werden,
weil er von Victoire am Feuer vergessen worden und infolgedessen
hart wie eine Schuhsohle war.
    Man war gerade beim Nachtisch, als ein Glockenschlag Frau
Campardon erzittern ließ.
    Es ist eine Kusine der gnädigen Frau, sagte Lisa zurückkehrend
mit dem verletzten Tone eines Dienstboten, den man vergessen hat,
vollends ins Vertrauen der Familie zu ziehen.
    In der Tat kam Gasparine mit einem schwarzen, recht einfachen
Wollkleid, ihrem mageren Gesichte und dem dürftigen Aussehen eines
Ladenmädchens. Rosa, behaglich eingehüllt in ihren cremeseidenen
Schlafrock, üppig und frisch, erhob sich so bewegt, daß ihr die
Tränen in die Augen traten.
    Ach! meine Liebe, murmelte sie, du bist recht lieb … Wir
wollen alles vergessen, nicht wahr?
    Sie nahm sie in ihre Arme und gab ihr zwei lange

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