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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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väterlich-gütig eine Akte auf den Schreibtisch. Dann ließ er mich allein. Ich hatte unterwegs die Rhein-Neckar-Zeitung gekauft, aber noch keine Gelegenheit gefunden, sie aufzuschlagen. Zum Glück stand noch kein Wort über die Ereignisse der vergangenen Nacht darin.
    Als ich mittags in der Kantine auftauchte, hörten zwei junge Stenotypistinnen auf zu schwatzen, sahen mich und kicherten unterdrückt. Sie hatten über mich geredet, das war klar. An und
    für sich hatte ich zu den meisten Personen unserer Firma ein kollegiales, aber nicht allzu enges Verhältnis. Die Azubis und jungen Angestellten hatten ein wenig Angst vor mir, weil ich ihnen keine Schlampereien durchgehen ließ. War irgend etwas nicht korrekt, so mußten sie es eben noch einmal machen. Im Grunde konnten sie mir dankbar dafür sein, denn wenn man sich nicht beizeiten angewöhnt, diszipliniert zu arbeiten, wird es später immer damit hapern. Was Manschen nicht lernt und so weiter. Sicher fanden mich einige aber allzu streng und hetzten gelegentlich über mich.
    Ich wußte auch jetzt, daß sie über meine Kleidung sprachen. Diese jungen Dinger hatten natürlich ein Auge dafür, daß ich mich in der letzten Zeit um mehr Jugendlichkeit bemühte. Ich mußte wahrscheinlich in der Zukunft wieder etwas unauffälliger auftreten, im Nu hatten die einem etwas angedichtet. Mit Klatsch habe ich mich nie abgegeben, sogar meine jungen Kolleginnen scharf unterbrochen, wenn sie mir »wer mit wem« erzählen wollten. Durch die kompetente Frau Römer wurde ich dennoch über wichtige Tatsachen informiert; da sie ein gütiger und alter Mensch war, erlaubte ich ihr schon, mir zuweilen das Neueste zuzutragen.
    War ich in der letzten Zeit in meiner strengen Rolle unglaubwürdig geworden? Leuchtete mir die Liebe verräterisch aus den Augen? Beate hatte neulich eine freche Bemerkung gemacht, sie hatte eine Nase für weibliche Gefühle.
    Ich stand diesen Tag irgendwie durch, holte mir in der Apotheke ein leichtes Beruhigungsmittel und legte mich früh ins Bett. Aber an Schlafen war wieder nicht zu denken. Blutige Bilder tauchten vor mir auf, Hilkes grüne Bluse, die langsam schwarz wurde, der verletzte Witold. Ich hatte die Frau umgebracht! Witold war kein Mörder. Eine schauerliche Möglichkeit - darauf war ich bisher nicht gekommen - war, daß sie auch durch meinen Schuß nicht tot war.
    Am nächsten Tag stand in mehreren Zeitungen, auch in der Ladenburger, die nur einmal wöchentlich erschien:
     
    MYSTERIÖSER MORD IN EINEM LADENBURGER LEHRERHAUS
     
    Unter bis jetzt nicht aufgeklärten Umständen wurde gestern kurz nach ein Uhr nachts von der Polizei die Leiche der dreiundvierzigjährigen Hausfrau Hilke E. gefunden. Der Ehemann lag mit einem Durchschuß im Bein bewußtlos am Boden, Er war bislang vernehmungsunfähig. Sowohl die Tote als auch der Verletzte hatten zuvor reichlich Alkohol zu sich genommen. Die Tatwaffe fehlt.
    Im Garten und auf dem Teppich fanden sich Spuren, die auf eine weitere Person schließen lassen. Der ältere Sohn befindet sich zur Zeit auf einer Urlaubsreise durch die Türkei und kann nicht erreicht werden, der zweite leistet seinen Zivildienst in einem Heidelberger Krankenhaus ab, wo er in der fraglichen Zeit Nachtdienst hatte. Gesucht wird ein auffallend schlanker Mann, Schuhgröße 41, der abends in der betreffenden Straße gesehen wurde.
    Außerdem bittet die Polizei die unbekannte Anruferin, sich unverzüglich mit dem Ladenburger Kriminalkommissariat in Verbindung zu setzen.
    Abends rief mich Beate an.
    »Hast du schon den Mannheimer Morgen gelesen? fragte sie.
    Ich ahnte gleich etwas und sagte möglichst gleichgültig: »Ja, warum?«
    Beate freute sich immer, wenn sie mir Skandale erzählen konnte. »Hast du >Mord im Lehrerhaus< gelesen?«
    »Kann sein«, murmelte ich, »hab’ nicht weiter darauf geachtet.«
    »Denk dir«, schwatzte Beate, »das ist das Haus von dem Rainer Engstern, nach dem du mich neulich gefragt hast. Seine Frau wurde erschossen, und er ist verwundet. Man hat mir erzählt, sie ist eine Säuferin. Du, vielleicht hat er sie umgebracht und sich selbst noch ein bißchen ins Bein geschossen, um den Verdacht abzulenken.«
    »Meinst du?« fragte ich.
    »Na, eigentlich fand ich ihn ganz nett, als ich ihn letztes Jahr hier in meiner Volkshochschule hörte. Aber man sieht es ja keinem Mörder von außen an.«
    Ich hätte Witold gern verteidigt, aber so dumm war ich natürlich nicht.
    »Stand da nicht noch was von einer weiteren

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