Der Hahn ist tot
machen«, sagte ich. »Sie kriegen ja lebenslänglich für Mord, es muß wenigstens als Totschlag gelten.«
Er sah mich wieder hilflos an und würgte plötzlich.
»Haben Sie Schnaps im Haus?« fragte ich, denn ich hatte schon wiederholt gelesen, daß eine Tat im Vollrausch nicht als geplant und vorsätzlich gelten kann. Er tappte nach dem Schrank, griff nach einer angebrochenen Flasche Whisky und hielt sie mir hin.
»Jetzt passen Sie mal gut auf«, sagte ich und bemühte mich, recht suggestiv zu wirken, »trinken Sie jetzt die ganze Flasche leer. Wenn Sie zu Boden gehen und das Bewußtsein verlieren, rufe ch zehn Minuten später die Polizei an. Sie sagen beim Verhör, daß Sie sich an nichts mehr erinnern können.«
Witold wollte widersprechen, trotz Schockzustand schien ihm irgend etwas an diesem Plan nicht logisch oder nicht anständig zu sein. Er sagte mehrmals »aber« und setzte dann die Flasche an. Irgendwie schien ihm die Vorstellung, gleich benebelt am Boden zu liegen und für Stunden aus dem Verkehr gezogen zu sein, noch eine der besten Möglichkeiten. Er trank und trank, würgte dazwischen, und ich hatte große Angst, er würde gleich alles wieder von sich geben.
In fünf Minuten, in denen wir uns nur ansahen, trank er den ganzen Whisky aus. Ich legte meine Hand auf seine. »Alles wird wieder gut«, sagte ich mütterlich. Er grinste plötzlich wie ein zurückgebliebenes Kind und hatte das abrupte Bedürfnis, sich auf den Teppich zu legen.
So, was nun. Jetzt also die Polizei, dachte ich. Da hörte ich hinter mir einen röchelnden Ton. Mir stockte das Blut in den Adern. Ich drehte mich um: Hilke bewegte sich, wimmerte, lebte. Das durfte nicht sein, Witold mußte für immer von ihr befreit werden. Ich nahm den Revolver, er lag direkt vor mir auf dem Couchtisch, ging zur Balkontür, zielte aufs Herz, schoß - und traf sie am Kopf. Sie sackte zusammen. Witold stöhnte auf, aber er hatte nichts verstanden.
Sofort war mir klar, daß ich einen Fehler gemacht hatte. Ein zweites Mal schießen, wenn man beim ersten Mal nicht getroffen hat, das wirkt nicht mehr wie Totschlag im Affekt. Jetzt mußte es also nach Notwehr aussehen, schließlich hatte Hilke ja auch zuerst feuern wollen. Ich mußte von ihrem Sitzplatz aus in Witolds Richtung schießen.
Nun wurde ich aber langsam hysterisch, ich hatte auf einmal nur noch das panische Bedürfnis wegzulaufen. Aber es mußte sein. Ich stellte mich an Hilkes Stuhl und schoß neben Witolds Bein auf den Teppich. Witold schrie und ächzte wieder auf, und nun sah ich, daß sein Bein blutete. Ich mußte ihn getroffen oder gestreift haben. Ich schob das Hosenbein hoch, aber Gott sei Dank - das war nur eine Bagatelle, da brauchte ich mich weiter nicht drum zu kümmern.
Ob jemand die Schüsse gehört hatte? Witolds Haus lag ja zum Glück etwas abseits, nebenan das freie Grundstück, die anderen Nachbarn im Urlaub. Aber wirklich alle? Ich mußte schleunigst weg. Ich verließ das Haus durch die Terrassentür, kroch wieder durch die Apfelbäume. Stop! sagte ich mir plötzlich. Fingerabdrücke! Was hatte ich eigentlich angefaßt? Ich ging wieder zurück. Klar, die Waffe, das Glas, den Witold. Revolver und Glas steckte ich in meine Handtasche, ich hatte jetzt einfach nicht mehr die Kraft, beides blankzupolieren. Ich rannte fast weg. Ob mich irgend jemand gesehen hatte? Endlich war ich beim Auto, stieg ein und fuhr am ganzen Leibe zitternd los. Ich hatte das dumpfe Gefühl, daß ich alles von Grund auf falsch gemacht hatte. Dann fiel mir ein, daß ich ja unbedingt die Polizei anrufen mußte, ich hatte es Witold versprochen.
Ich hielt an einer Telefonzelle, die ich schon gut kannte. Der Notruf stand glücklicherweise gut sichtbar vorn im Telefonbuch, mir wäre im Augenblick selbst meine eigene Nummer nicht eingefallen. Mit einer mir ganz fremden Stimme hörte ich mich sagen: »Ich habe soeben Schüsse gehört...« Man unterbrach mich sofort, wollte zuerst meinen Namen und meine Anschrift wissen. Ich antwortete aber nicht darauf, sondern schrie: »Fahren Sie sofort hin«, nannte Witolds Adresse und legte auf. Ich stieg eilig ins Auto und fuhr heim. Zu Hause bekam ich einen Heulkrampf, der nicht enden wollte.
Meine Zähne klapperten, ich war völlig erschöpft, gleichzeitig wach und glasklar. Ich konnte mir nicht vorstellen, in wenigen Stunden im Büro zu sitzen und zu arbeiten, und doch war es nötig, denn ich war sonst nie krank und durfte auf keinen Fall jetzt auffallen. Ich ließ
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