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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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mir ein heißes Bad ein, legte mich hinein, um aufzutauen, um das Klappern meiner Zähne zu dämpfen. Kaum war ich im warmen Wasser, als mir mit Entsetzen einfiel, die Polizei könne die Adresse nicht richtig verstanden haben, Witold würde vielleicht immer heftiger bluten, am Ende sterben - verbluten durch meine Schuld, ohne mich jemals wieder angesehen und gelächelt zu haben. Ich mußte mich vergewissern, bei ihm anrufen. Aber ich hatte immer die fixe Idee mit der Fangschaltung. Also raus auf die Straße, in eine Telefonzelle und von dort anrufen! Wenn mich aber jetzt jemand aus der Nachbarschaft mitten in der Nacht in einer Telefonzelle sah, dann mußte das unter allen Umständen Verdacht erwecken. Aber ich konnte doch Witold nicht verbluten lassen!
    Ich quälte mich aus der Wanne, trocknete mich kaum ab, zog den Bademantel über und nahm die Wohnungsschlüssel meiner Nachbarin. Sie war im Urlaub, und ich goß täglich ihre Blumen. Ich ging über den Flur, schloß auf, nahm das Telefon, wählte Witolds Nummer. »Ja, wer ist da?« fragte eine fremde Männerstimme. Ich legte auf, alles war in Ordnung, Witold wurde jetzt verarztet und in ein Bett gebracht. Ich war ein wenig erleichtert, schloß die fremde Wohnung wieder ab, legte mich aufs neue in die warme Wanne.
    Wenn aber jemand gesehen hat, daß bei der Nachbarin Licht angeht, wo sie doch verreist ist - schoß es mir durch den Kopf -, dann muß das doch auch Befremden auslösen! Und wenn sie eine Fangschaltung haben, dann ist es erst recht auffällig, wenn aus der Wohnung einer Frau angerufen wird, die gerade in Italien ist.
    Und, o Gott! In meiner Handtasche befanden sich ein fremdes Glas und vor allem die Mordwaffe. Ich hatte keine Ruhe mehr in der Wanne. Raus, zum zweiten Mal abtrocknen, Bademantel wieder an. Das Glas wickelte ich in ein Handtuch und schlug damit ein paarmal auf den Küchentisch. Die Scherben kamen in den Mülleimer, und den würde ich morgen ausleeren. Sollte der Revolver auch gleich diesen Weg gehen? Das wäre allerdings sehr unvorsichtig, den mußte ich auf raffiniertere Art loswerden.
    Schließlich überlegte ich mir aber, daß mir keine unmittelbare Gefahr drohte. Niemand konnte mich mit dieser Sache in Verbindung bringen, niemand kannte mich in Ladenburg. Witold wußte nicht, wer ich war, hatte mich bewußt nur dreimal gesehen, davon zweimal ohne Interesse, das dritte Mal unter Schock. Außerdem würde er sich wirklich nicht an alles erinnern können, die zwei Schüsse von mir hatte er nicht mehr mit Bewußtsein mitgekriegt.
    Was sollte die Polizei von alldem halten? Hatte ich darüber hinaus Fehler gemacht, irgend etwas liegen gelassen? Nein, ich rauche nicht und lasse keine Zigarettenstummel als Beweis am Tatort, ich verliere auch keine Taschentücher mit Monogramm. Siedendheiß fiel mir aber ein: meine Spuren im feuchten Garten, am Ende sogar auf dem Teppich. Ich hatte Turnschuhe angehabt, um besonders gut schleichen zu können. Sonst trage ich sie nie, sie sind ebenso wie der mausgraue Jogginganzug von der Kur übriggeblieben. Die müssen weg! dachte ich. Ich nahm sie sofort und tat sie in den halbvollen Rotkreuzsack. Nächste Woche würde er abgeholt. Den Revolver legte ich in einen Koffer in der Rumpelkammer und beschloß, mir am nächsten Tag ein besseres Versteck auszudenken.
     

 
2
     
    W as tut man, wenn man nicht geschlafen hat, wie ausgespuckt aussieht und trotzdem frisch und munter im Büro erscheinen soll? Ich wusch mir die Haare, zog meine freundlichsten Kleider an, verwendete viel Zeit für ein makelloses Make-up. Zum Glück war Frau Römer noch länger krankgeschrieben, und ich blieb vorerst in ihrem Zimmer (auch ohne den Dieskau), wo ich nicht so sehr den neugierigen Blicken der Kollegen ausgesetzt war. Aber schon früh trat der Chef ein. »Nein, wie sehen Sie heute gut aus, man merkt doch gleich, daß Sie aufblühen, wenn es Frau Römer wieder besser geht. Der Dieskau und die täglichen Krankenhausbesuche waren sicher eine große Belastung für Sie. Aber heute sehen Sie aus wie das blühende Leben!«
    »Ihnen entgeht ja nie etwas«, konterte ich möglichst locker, dabei trat mir der Schweiß aus allen Poren. Hatte ich die Nacht über mit den Zähnen geklappert, so wurde ich jetzt reichlich durch Hitzewellen entschädigt.
    »Ich kenn’ doch meine Pappenheimer«, versicherte der Chef, »aber jetzt haben Sie sicher ein bißchen mehr Zeit und können sich mit diesem Schadenfall beschäftigen«, und er legte mir

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