Der Hahn ist tot
legte ich mir immer neue Pläne zurecht, bedachte sorgfältig, was ich anziehen wollte, ob der Hund mit sollte und so weiter. Schließlich war es soweit. Ich ging am Vormittag zum Frisör und ließ mir eine luftgetrocknete Dauerwelle machen. Mit diesem etwas strubbeligen Lockenkopf sah ich völlig neu aus.
Und so anmutig und jung, aufgeregt und angstvoll, stieg ich am Samstag die ausgetretenen vier Steinstufen hinauf und schellte einfach an seiner Tür. Es dauerte ein wenig, bis Witold aufmachte.
»Ja bitte?« fragte er unfreundlich.
»Kennen Sie mich nicht?« fragte ich zurück.
Er zog die Augenbrauen zusammen, plötzlich dämmerte ihm etwas.
»Kommen Sie rein«, stotterte er und war nun seinerseits aufgeregt. Er war sich nicht ganz sicher, ob ich die obskure Frau war, die beim Tod seiner Hilke dabei gewesen war.
Ich trat ein, er deutete auf einen der vier Stühle, die vor einem runden Eichentisch standen. Er zündete sich automatisch eine Zigarette an und hielt mir dann erst die Schachtel hin. Ich schüttelte den Kopf.
»Wer sind Sie überhaupt?« wollte er als erstes wissen.
Ich war vorsichtig und versicherte, das tue vorerst nichts zur Sache, ich würde es ihm aber später noch sagen. Witold zog an der Zigarette, ging einen Aschenbecher holen und spähte dabei suchend aus dem ungeputzten Fenster; er wollte sehen, ob ich allein war, was ich für ein Auto hatte. Der Wagen stand aber am Anfang des Holzweges, und den Dieskau hatte ich zu Hause gelassen. Ich war der Meinung, daß ein Hund meistens mehr beachtet wird als ein Mensch, und ich wußte aus Erfahrung, daß man als Hundespaziergänger häufig angesprochen wird.
Witold sagte endlich: »Ich habe mir schon tausendmal den Kopf zerbrochen, wie das alles zugegangen ist in jener Nacht. Wieso waren Sie plötzlich da?«
Ja, das war ein wunder Punkt. Nun mußte ich doch den Dieskau ins Feld führen. Ich sagte - obgleich es nicht sehr glaubwürdig klang -, ich hätte, da ich unter Kopfschmerzen litt, nachts noch einen Spaziergang mit dem Hund gemacht. Auf dem freien Grundstück neben dem Garten hätte ich ihn frei laufen lassen, und da sei er plötzlich verschwunden. Auf der Suche nach dem Hund sei ich dann in Witolds Garten geraten, wo ich den Schuß gehört hatte. Da wäre ich eben hereingestürzt.
Witold betrachtete mich während meiner Rede mit gespannter Aufmerksamkeit, rauchte nervös, hielt weder Arme noch Beine ruhig und schielte plötzlich auf meine Füße herunter, um meine Schuhgröße abzuschätzen.
Als ich fertig war, fing er verdrossen wieder an: »Gut, gut, so mag es ja gewesen sein, obgleich ich mich nicht erinnern kann, einen Hund gesehen zu haben. Aber danach verstehe ich gar nichts mehr. Einerseits wollten Sie mir ja offensichtlich helfen, andererseits haben Sie mich beinahe umgebracht!«
»Nein«, versicherte ich, »auf keinen Fall wollte ich Sie treffen, es sollte nur so aussehen, als ob man auch auf Sie geschossen hätte. Ich habe mich dann vergewissert, ob sie gefährlich verletzt waren, und fand es nicht so schlimm.«
Witold rief gekränkt: »Nicht so schlimm, Sie sind gut! Der Schuß ging haarscharf an einer Arterie vorbei, ich hätte verbluten können!«
Er krempelte das Hosenbein hoch, und ich sah eine kleine rote Narbe auf der Außenseite der Wade, dieses Einschußloch hatte ich damals auch gesehen. Nun wies er mir aber die Innenseite des Beines, und da sah es anders aus: die Austrittstelle der Kugel hatte einen tiefen Krater hinterlassen.
Witold sah mich finster an, nichts von seinem hinreißenden Lächeln. »Ich verstehe Sie überhaupt nicht! Sie müssen auch auf meine Frau geschossen haben, aber warum? Einerseits haben Sie mir geholfen, aber andererseits haben Sie wahrscheinlich meine Frau getötet, und ich habe sie nur angeschossen.«
Ich überlegte. Dann bat ich ihn, mir zu erzählen, was die Polizei wisse und was er dort ausgesagt habe.
»Ich konnte mich anfangs wirklich an nichts erinnern«, begann Witold, »aber ich denke nicht, daß die mir das abnehmen. Ich habe ausgesagt, daß meine Frau eine Entziehungskur abgebrochen hat und überraschend wieder aufgetaucht ist. Sie war schon alkoholisiert, als sie ankam, und wir haben dann beide weitergetrunken. Ich trinke sonst nicht viel und bin keine großen Mengen gewöhnt und schon gar keinen Whisky. Ich sagte ihnen, daß mir schlecht wurde und ich mich auf den Teppich gelegt habe. Dann hörte ich einen Knall, spürte einen stechenden Schmerz und verlor das Bewußtsein. -
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