Der Hahn ist tot
etwas aus dem Clinch gelassen und mir auch erlaubt, kurzfristig hier zu wohnen. Aber ich muß mich jeden zweiten Tag telefonisch melden. - Ist Ihnen übrigens jemand gefolgt?«
»Nein, bestimmt nicht, die ganze Strecke war sehr einsam. Aber ob mich Ihr Nachbar gesehen hat, das weiß ich wirklich nicht.«
Mein Gott, schoß es mir durch den Kopf, jetzt sitze ich hier dem Mann meiner Träume gegenüber, und wir reden über Mord und Totschlag statt über Liebe, und er starrt mich mit unendlichem Mißtrauen an. Ich mußte versuchen, ihm andeutungsweise meine Sympathie zu vermitteln.
»Um die Wahrheit zu sagen«, log ich also, »ich bin zwar durch reinen Zufall in diese Geschichte verwickelt, aber als ich Sie sah, erkannte ich Sie sofort nach einem Foto. Ich hatte vor längerer Zeit Ihr Malerei-Büchlein gelesen und war davon ganz begeistert. Ihr Bild auf dem Umschlag hatte sich mir tief eingeprägt, und vielleicht weil mir Ihr Buch so überaus klug und sympathisch erschien, kam es zu dieser spontanen Reaktion des Helfenwollens«, und ich zeigte ihm mein charmantestes Lächeln. Für den Bruchteil einer Sekunde lächelte er zurück.
»So, Sie haben mein Buch gelesen«, - ich hatte eine Zauberformel ausgesprochen, denn sein angespanntes, unfreundliches Gesicht verwandelte sich, und er wurde wieder zu jenem liebenswerten, attraktiven Mann mit der erotischen Stimme, der vor Wochen mein Leben schlagartig verändert hatte.
»Viele Leser habe ich ja nicht gerade«, fuhr er fort, »und es hat Ihnen tatsächlich gefallen?«
Ich beeilte mich, das zu beteuern, verlor mich sogar begeistert in Einzelheiten über die schönen Pantoffeln und Teppiche. Ich war eine falsche Schlange, aber der Zweck heiligt schließlich die Mittel.
Lange dauerte aber seine Freundlichkeit nicht an. »Woher weiß ich, daß Sie nicht eine wahnsinnige Verbrecherin sind«, sagte er in einem leicht ironischen Unterton, denn seit ich mich als seine Leserin ausgegeben hatte, glaubte er nicht mehr ernstlich an meinen Wahnsinn. »Am Ende ziehen Sie jetzt den Revolver aus dem Halfter und legen mich um.«
»Warum sollte ich das«, meinte ich traurig und warf ihm einen langen liebevollen Blick zu. Ein wenig schien er zu spüren, daß ich keine mordlüsternen Gefühle für ihn hegte, wenn er auch bestimmt noch nicht kapierte, daß ich ihn liebte.
Ich beschloß, noch einmal die Zauberformel aufzusagen: »Nachdem ich Ihr schönes Buch gelesen hatte, bin ich einige Zeit später zu einem Vortrag gegangen, den Sie über die Lyrik der Befreiungskriege gehalten haben. Das war ein wunderbarer Abend, Sie haben mir so viel Interessantes über diese Zeit nahegebracht, daß ich bereichert nach Hause fuhr« (stimmte ja schon, bereichert war ich durch neue Gefühlsimpulse, aber von der scheußlichen romantischen Kriegsliteratur hatte ich kein Wort mehr im Gedächtnis). Er sah mich nachdenklich an, sein Gesicht wurde wieder anziehend und verlor völlig den grämlichen Ausdruck. Du bist sehr eitel, dachte ich, damit kann ich dich kriegen.
»Das freut mich«, sagte er herzlich. »Soll ich uns mal Kaffee kochen?«
Ich nickte begeistert; seit zig Jahren hatte kein Mann für mich Kaffee gekocht. Während er Wasser aufsetzte, bemerkte Witold: »Ideal wäre es gewesen, wenn Sie etwas geklaut hätten, Schubladen ausgekippt und Schränke durchwühlt«, - aber ich hörte wieder einen freundlichspöttischen Unterton heraus, den ich mir gern gefallen ließ.
»Ja«, sagte ich, »dann hätte die Polizei ein Motiv für die Schüsse gehabt, ein Raubüberfall oder so etwas. Aber ich habe alles doch genausowenig wie Sie geplant und bedacht. Wir haben mehr oder weniger beide eine Kurzschlußhandlung begangen: Sie haben im Affekt geschossen, und ich tat es, um Ihnen zu helfen.«
Wir tranken Kaffee zusammen; eine gewisse Vertrautheit entstand in diesem einfach möblierten Zimmer. Witold taute etwas auf, wurde aideutungsweise witzig. Er scherzte über unsere Komplizenschaft und dieses konspirative Treffen. Aber dann meinte er, es sei wohl besser, wenn wir nie zusammen gesehen würden und möglichst keinen Kontakt miteinander hätten.
»Man hat schon fieberhaft herumge schnüffelt, ob ich eine Freundin habe und von daher ein Motiv, meine Frau umzubringen. Aber Gott sei Dank, die letzte Freundin liegt schon viele Jahre zurück. Wenn man mich aber jetzt mit Ihnen zusammen sieht, dann ist das ein gefundenes Fressen für die Polizei.«
Leider mußte ich ihm recht geben. Zwar war ich erfreut zu
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