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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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hören, daß keine Freundin auf ihn lauerte, aber andererseits wollte ich doch seine Freundin werden. Aber das konnte ich natürlich so plump nicht vorbringen.
    Witold fragte mich wieder nach meinem Namen und meiner Adresse. Beim nächsten geheimen Treffen würde ich meine Identität nachweisen, versprach ich. Und dann schlug ich für den übernächsten Sonntag ein Treffen in Heidelberg vor, mitten auf der Hauptstraße, zum Beispiel vor dem Kaufhof; im Touristengewühle könnten wir untertauchen. Witold fand das nicht gut.
    »In Heidelberg treffe ich immer Bekannte«, sagte er, aber im Prinzip schien er mit einem Treffen einverstanden zu sein. Bestimmt hatte er das dringende Bedürfnis, über den Streß der letzten Zeit zu sprechen, und konnte es sonst mit niemandem. Schließlich verabredeten wir uns auf einem Odenwaldparkplatz, wo die Gefahr des Erkanntwerdens zugegebenermaßen gering war.
    Zwei Stunden später fuhr ich heim. An diesem frühen Abend schienen mir die sanften Hügel mit ihren einzelstehenden Apfelbäumen, die Waldsilhouette der Hänge, die träge fliegenden Vögel und das späte Sonnenlicht so überaus schön, daß es mir vorkam, als ob ich nach jahrelangem Gefängnisaufenthalt endlich am Leben wieder teilnehmen könnte. Völlig idiotisch sang ich: »Brüder zur Sonne, zur Freiheit«. Ich singe sonst nie, und schon gar nicht so etwas. Ich war glücklich und hoffnungsvoll, denn es war jetzt nicht mehr so unrealistisch, daß dieser Mann mich gern haben könnte. In acht Tagen würde ich ihn wiedersehen.

 
3
     
    M ontags fuhr ich nach Büroschluß mit dem Dieskau zu Beate. Ich war so guter Laune, daß ich nicht allein zu Hause hocken wollte und ganz gegen meine früheren Gewohnheiten einem plötzlichen Bedürfnis nach Gesellschaft nachgab.
    Beate fixierte mich mit großen Augen.
    »Du siehst ja völlig anders aus mit dem Lockenkopf, so frisch und luftig! Nicht schlecht!«
    Sie begutachtete mich von allen Seiten.
    »Du, gleich wird aber Jürgen kommen (das war ihr neuer Freund, der Handelsvertreter), er war ja am Wochenende bei seiner Familie. Wir wollen essen gehen, kommt ihr vielleicht mit?«, und sie wandte sich bei dem »ihr« höflich nach unten an den Dieskau. Früher hätte ich sofort abgelehnt, hätte mich als fünftes Rad am Wagen empfunden. Aber in meiner Glücksstimmung ging ich mit. Jürgen war ein Rheinländer und erzählte gern fremde und eigene Witze. Offensichtlich brauchte er Publikum, und als solches war ich willkommen. Er war kein Schuft, vor dem ich Beate hätte warnen müssen, sondern eine ehrliche Haut; er machte ihr nichts vor. Er wollte unter der Woche etwas Vergnügen und Gesellschaft beim Essen und im Bett; Beate schien da mit ihm einig zu sein. Sie lachte herzlich über seine Witze und steckte mich schließlich an. Nur der Dieskau war unzufrieden. Zwar hatte er diskret ein Hammelknöchelchen unter den Tisch bekommen, aber er mochte keine Männer und war sie auch nicht gewohnt. Der Hund geiferte und belferte bedrohlich und ausdauernd unter dem Tisch, so daß ich schließlich mit ihm abzog und das Pärchen allein ließ. Ich beneidete Beate um ihre lockere Art, mit einem Mann umzugehen, ich konnte das einfach nicht. Bei mir und Witold sollte die Freundschaft anders werden, nicht so oberflächlich; aber trotzdem heiter.
    Eine Woche später, an einem sonnigen Sonntagvormittag, wartete ich mit dem aufgeregten Dieskau an der Leine auf Witold. Der Waldparkplatz war ganz verlassen und leer, kein Auto war auch nur von ferne zu hören. Schon nach kurzer Wartezeit wurde ich kleinmütig, meine Hochstimmung klang ab. Vielleicht kam er überhaupt nicht! Aus diesen trüben Gedanken riß mich seine Stimme heraus, hinter mir tönte es: »Guten Morgen, geheimnisvolle Unbekannte!«
    Witold war mit dem Fahrrad gekommen und ein wenig außer Puste, da er nicht die Straße, sondern einen Waldweg benutzt hatte.
    Ich strahlte ihn an. Er schien sich aber gerade meine Autonummer einzuprägen. Als er sah, daß ich das sofort bemerkt hatte, grinste er ein wenig.
    »Heute werden Sie ja, wie versprochen, Ihr Inkognito lüften. Also: Wie heißen Sie? Ich muß Sie schließlich anreden können.«
    »Rosemarie«, sagte ich ein wenig verlegen; der Name paßte nicht zu mir, und wie die meisten Frauen war auch ich stets unzufrieden damit gewesen. Er schien diesen Namen auch nicht für geeignet zu halten.
    »Weiter«, sagte er.
    »Luise«, fuhr ich fort.
    Er war erheitert. »Noch weiter«, forderte er

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