Der Hahn ist tot
Handkäse.
»Ich hab’ Sie gar nicht erst nach Ihren Wünschen gefragt«, sagte er, »aber hier gibt es bestimmt nichts, was besser schmecken könnte.« Er hatte recht.
Ein Brunnen erquickte den müden Dieskau. Nach zwei Gläsern Most, die ich gierig heruntergestürzt hatte, schien mir die Welt golden oder rosarot, und ich hatte große Lust, meinen Witold einfach zu küssen. Aber so sehr hatte ich mich doch nicht verändert; ich traute mich nicht.
Witold trank ebenfalls mehrere Gläser und redete viel. Währenddessen streichelte er ununterbrochen den Hund zu meinen Füßen, bis es mir schließlich dämmerte, daß eigentlich meine Beine gemeint waren. Ich sah ihn an mit windheißen Augen.
»Eigentlich schade«, sagte Witold in heiterer Stimmung, »daß wir beiden Komplizen uns nicht ganz normal treffen können. Oder sollen wir nächsten Sonntag wieder so eine Expedition ins Unbekannte machen?«
Da hatte ich zwar nichts dagegen, aber ich hatte mir schon während der langweiligen Bürostunden einen Plan zurechtgelegt.
»Wir könnten uns doch - meinetwegen vor Zeugen - ganz neu kennenlernen! Dann wird kein Kommissar auf die Idee kommen, daß wir uns schon früher kannten und ich irgend etwas mit der Sache zu tun habe.«
Witold verstand mich gleich. Er überlegte hin und her.
»In der nächsten Zeit sind überall an der Bergstraße Weinfeste, Kirmes, Altstadtrummel. Dort könnten wir uns zufällig an einem langen Tisch mit vielen, vielen Menschen begegnen.«
Die Idee machte mir Vergnügen. Wir besprachen alles genau. Ich sollte mit einer Freundin (wie gut, daß ich wenigstens Beate hatte!) in einer bestimmten Weinheimer Straußwirtschaft an einem Tisch sitzen, möglichst zeitig, damit noch kein unübersichtliches Gedränge herrsche. Witold wollte mit einem Freund (jenem Doktor Schröder, von dem er das Wochenendhäuschen hatte) vorbeischlendern und sich zu uns an den langen Tisch setzen, rein zufällig. Und dann würden unsere Freunde Zeuge werden, wie wir uns kennenlernten. Daß Beate den Witold vom Sehen her kannte, spielte keine große Rolle, würde sogar alles erleichtern, dachte ich.
Wir waren leicht beschwipst, blieben lange im schattigen Garten sitzen, hörten das Brünnchen plätschern und sahen die Wespen an den Weingläsern herumturnen. Schließlich mußten wir doch zurück. Am Parkplatz trennten wir uns wie Verschwörer.
»Bis Samstag!«
»Denken Sie an den Revolver!«
Mehr konnte ich eigentlich von einem schönen Sonntag im späten August nicht erwarten: Ich glaub«, noch nie einen besseren erlebt zu haben und auch keinen besseren mehr erwarten zu können. Womit ich recht hatte.
Zu Hause riß ich als erstes die zierlichen Sandalen von meinen großen Füßen. Ich mußte an Andersens »Kleine Seejungfrau« denken, die einem Mann zuliebe ihren Fischschwanz durch zwei hübsche Beine ersetzt hatte, aber bei jedem Schritt Schmerzen erleiden mußte, als trete sie auf ein zweischneidiges Schwert.
Am Montag rief ich, immer noch in euphorischer Stimmung, vom Büro aus bei Beate an, um sie für den Ausflug zur Weinkerwe zu begeistern. Schließlich mußte ich mich frühzeitig darum kümmern, sonst hatte sie am Ende andere Pläne.
Beate war platt. »Jahrelang habe ich versucht, dich Gott weiß wohin mitzuschleppen, und fast nie ist es mir gelungen. Und jetzt auf deine alten Tage willst du auf die Kirmes gehen und machst dir einen Lockenkopf! Sag, bist du am Ende verliebt?«
»Na klar«, scherzte ich, »seit ich mit einem männlichen Wesen zusammenlebe, sieht die Welt ganz anders aus.«
»Was sagst du da?«
»Na ja, der Dieskau teilt mit mir Tisch und Bett.«
»O Gott«, seufzte Beate, »ich hab’ zwar schon gehört, daß man einem Hund zuliebe viel spazierengeht, aber noch nie, daß man für ihn zum Frisör rennt.«
Aber sie erklärte sich bereit, am Samstag mitzukommen.
»Gut, daß du nicht am Sonntag wolltest, da kommen alle drei Kinder zum Essen. Es könnte übrigens sein, daß sie schon am Samstag da sind, dann geht es eben nicht.«
Beate war während der Woche mit ihrem Job und ihrem Jürgen voll beschäftigt, am Wochenende fielen dagegen mit schöner Regelmäßigkeit ihre drei erwachsenen Kinder wie die Heuschrecken ein, warfen schmutzige Wäsche ab und aßen die Vorräte leer. Ich war froh, von dieser Plage verschont geblieben zu sein.
Die Woche verging schnell. Ich konzentrierte mich auf die Arbeit in der Versicherung, schrieb einen langen Brief an Frau Römer, ging täglich mit dem
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