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Der Hammer der Götter

Der Hammer der Götter

Titel: Der Hammer der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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weiter an Heftigkeit zu, aber er spürte, dass er seinen Höhepunkt noch lange nicht erreicht hatte. Das war kein normaler Sturm. Was immer ihn entfesselt hatte, stammte nicht von dieser Welt, und es war noch immer da, irgendwo dort draußen hinter den unsichtbar brüllenden Böen. Er konnte seine Anwesenheit fast körperlich spüren, als wäre die Dunkelheit selbst zu etwas Lauerndem erwacht, etwas Großem und unvorstellbar Wildem, das sich in den Momenten der Schwärze zwischen dem immer schneller flackernden Licht der Blitze verbarg.
    Einen Herzschlag lang glaubte er tatsächlich etwas zu sehen, hatte einen vagen Eindruck purer Größe und Macht, als hätte allein das Wissen um sein Dasein schon gereicht, den Schleier der Unsichtbarkeit ein kleines Stück zu lüften, und wieder traf eine Woge das Schiff, noch härter und mit womöglich noch verheerenderer Wucht, aber diesmal war er vorbereitet und hielt sich an den daumendicken Seilen fest, mit denen der Mast bis in Mannshöhe verstärkt war. Eisiges Wasser lief in seine Stiefel, blendete seine Augen und brannte wie Säure in den zahllosen Rissen und Schrammen in seiner Haut, und obwohl seine Kraft die eines normalen Mannes um das Zehnfache überstieg, hatten seine Finger doch immer mehr Mühe, Halt an den Seilen zu finden, die Salzwasser und Kälte hart wie Stein gemacht hatten. Die Planken unter seinen Füßen, die doch angeblich unzerstörbar sein sollten, ächzten, als wollten sie zerbrechen, und unter diesem Laut glaubte er noch einen anderen zu hören, ein dunkles Stöhnen und Grollen, als wäre das Naglfar nun endgültig zum Leben erwacht und versuche die Menschen abzuschütteln, die die Dreistigkeit besessen hatten, sich an seinen Leib zu klammern.
    Thor versuchte, auch noch diesen Gedanken abzuschütteln (es gelang ihm nicht), krallte sich mit nur noch größerer, trotziger Kraft in die schmirgelnden Seile und versuchte die Schmerzen und den kreischenden Weltuntergangssturm und die Ungeheuer seiner eigenen Fantasie zu ignorieren. Salzwasser und Schaum vermischten sich mit seinem eigenen Blut zu rosafarbener Gischt, die ihm in die Augen sprühte und ihm zusätzlich die Sicht nahm, und der schwarze Schlund unter seinen Gedanken wurde noch einmal tiefer, das Flüstern drängender, lauter und bedrohlicher. Jemand schrie seinen Namen; vielleicht Torben, vielleicht der sterbende Mann, über dessen Lippen sein Name als verzweifelter Fluch kam, bevor er im Meer versank, vielleicht auch nur das Brüllen des Sturmes oder das immer noch anhaltende Wispern in seinen Gedanken, und das Unwetter wurde noch einmal schlimmer. Blitz auf Blitz spaltete den schwarz gewordenen Himmel, explodierten Funken sprühend im Meer und ließ blaues Elmsfeuer über Masten und Takelage knistern, und mindestens ein weiteres Schiff wurde getroffen und explodierte in einer brodelnden Wolke aus Rauch und grellroten Flammen. Das Heulen des entfesselten Ragnarök war barmherzig genug, das Zischen von schmelzendem Fleisch und die Schreie der Sterbenden zu übertönen, aber er sah brennende Gestalten, die an Deck umhertorkelten oder auch über die Reling sprangen, das Ende in den kochenden Fluten dem Feuertod an Bord vorziehend.
    Thor schloss mit einem lautlosen Stöhnen die Augen, und als er sie wieder aufmachte, sah er das Ungeheuer.
    Im allerersten Moment war er nicht sicher, nicht nur einem neuen, grausigen Trugbild zu erliegen, einem bösen Spuk, geboren aus schaumiger Gischt und Schatten, der sich nur vermeintlich über den geschnitzten Drachenkopf am Bug des Naglfar aufbäumte, doch dann riss der Sturm die Gischtwolken auseinander, und nun sah er die Kreatur in ihrer ganzen, ehrfurchtgebietenden Scheußlichkeit: Höher als der größte Baum, den er jemals gesehen hatte, ragte sie über ihm auf, massig wie ein Berg, aber schlängelnd und böse, mit mehr als handgroßen glitzernden Schuppen bedeckt, Zähnen wie gebogene Schwertklingen und senkrecht geschlitzte Augen voller unstillbarer Bosheit, und einem abgrundtiefen Hass auf alles Lebendige und Fühlende.
    Thor schrie. Der Sturm riss den Laut von seinen Lippen und trug ihn davon, ohne dass er ihn auch nur selbst hörte, das Ungeheuer aber reagierte darauf, als hätte er ihm eine trotzige Herausforderung entgegengeschleudert: Sein Schädel, größer als eine Droschke und voller spitzer Zähne und Stacheln und knochiger Kämme und schierer Gestalt gewordener Wut peitschte mit einer Schnelligkeit herum, die seiner unvorstellbaren Größe

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