Der Hammer der Götter
dem Meer verdursten würden, meinst du nicht auch?« Er lachte. »Aber keine Angst. So grün, wie es hier überall ist, muss es Wasser geben.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte Thor.
»Wir sind immer noch fast hundert«, schnaubte Torben. »Gib mir einen Hammer, und ich repariere das Schiff allein.«
»Oder wir warten, bis es sich selbst geheilt hat«, fügte Thor hinzu und bedauerte die Worte schon, bevor er sie auch nur ganz zu Ende gesprochen hatte. Ein Schatten huschte über Torbens Gesicht und verschwand wieder, bevor er wirklich Besitz davon ergreifen konnte.
Torben räusperte sich, wie um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, wartete einen Moment – vergeblich – auf irgendeine Reaktion und deutete dann unbeholfen wieder zu der Anhöhe hinauf, hinter der sich die Küste und das Schiff verbargen. »Ich ... sehe mal nach dem Rechten. Du weißt ja, wie dieses faule Seefahrerpack ist. Kaum siehst du nicht hin, lassen sie alles Werkzeug fallen und halten Maulaffen feil, als würden sie dafür bezahlt.«
Thor nickte nur, und Torben sah ihn fragend an. Als Thor seinem Nicken keine Worte folgen ließ, wandte sich der Kapitän endlich ab und eilte mit raschen Schritten davon. Thor starrte noch eine Weile ins Leere, bevor er sich zusammenriss und den Verband abzuwickeln begann, den ihm Torben angelegt hatte. Die Verletzung, die darunter zum Vorschein kam, sah übel aus, aber er wusste, dass sie spätestens bis zum Morgen verschwunden sein würde.
Prüfend ballte er die Hand zur Faust, stellte ohne Überraschung fest, dass es ging und mit noch geringerer Überraschung, wie weh es tat. Dennoch ballte er die Hand fester zur Faust.
Es nutzte nichts. Der Schmerz half ihm nicht, das Gefühl der Hilflosigkeit zu vertreiben, das fast körperlich wehtat. Dreizehn Männer. Dort draußen auf dem Meer waren in der vergangenen Nacht tausend gestorben, aber diese Zahl war einfach zu ... monströs, um irgendeine Bedeutung zu haben. Diese dreizehn jedoch hatte er gekannt. Sie hatten die endlosen Tage und Wochen der Reise mit ihm geteilt, sie hatten ein Gesicht und einen Namen gehabt, und jeder von ihnen eine Geschichte, die er wenigstens zum Teil kannte. Jeder Einzelne von ihnen war nicht einfach nur ein Krieger und Seemann gewesen, der Asgard und ihm die Treue geschworen hatte. Jeder Einzelne von ihnen war auch ein Vater, ein Bruder, ein treusorgender Ehemann oder Sohn. Jeder Einzelne hatte seine Familie und seine Lieben in der Heimat zurückgelassen, und jeder Einzelne hatte seinem Wort vertraut und seinen Versprechungen geglaubt. Und nun starben sie einen unwürdigen und durch und durch sinnlosen Tod. Er fühlte sich hilflos, aber da war auch ein immer größer werdender Zorn in ihm, Groll auf ein Schicksal, das es gewagt hatte, sich seinem Willen zu widersetzen; immerhin dem Willen eines Gottes.
»Überschätzt du dich jetzt nicht ein bisschen, mein Freund?«
Zuerst war er nicht einmal sicher, ob er die Stimme wirklich hörte, oder nur einem weiteren, bösen Spuk aufsaß, denn die Worte schienen aus keiner bestimmten Richtung zu kommen, und irgendwie klang sie auch nicht ... richtig. Er konnte nicht sagen, wieso.
Thor unterdrückte mit einiger Mühe den Impuls, erschrocken herumzufahren und nach einer Waffe zu greifen, die er gar nicht bei sich trug, sondern drehte sich ganz im Gegenteil betont langsam um. Er war nicht einmal überrascht, niemanden zu sehen.
Dennoch fuhr die Stimme fort: »So etwas passiert einem, wenn man behauptet, ein Gott zu sein. Götter sind doch allmächtig, oder? Wie willst du deinen Männern jetzt erklären, dass du den Sturm nicht einfach weggeschickt hast? Oder wenigstens vorausgesehen?«
Thor dachte nicht einmal daran, einer Stimme zu antworten, die ohnehin nur in seiner Einbildung existierte, aber sein Blick tastete weiter über die Ansammlung hastig improvisierter Zelte und den Waldrand. War da ein Schatten, der nicht dorthin gehörte?
»Immerhin hast du die Begegnung mit der Jormungand überlebt. Was man wirklich nicht von jedem behaupten kann«, fuhr die Stimme fort, die nun nicht mehr körperlos klang, und jetzt auch tatsächlich aus einer bestimmten Richtung kam; der, in der er auch den Schatten am Waldrand wahrzunehmen glaubte. Wobei die Betonung eindeutig auf glaubte lag.
»Aber es war auch nicht besonders fair, Thor, Sohn des Odin«, fuhr die Stimme fort. »Ich meine: Sie wusste nicht, womit sie es zu tun hatte. Hätte sie es gewusst, wäre es anders
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