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Der Hammer der Götter

Der Hammer der Götter

Titel: Der Hammer der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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er es gehofft hatte. »Ich bin Dwegr.«
    Dwegr. Thor wiederholte den Namen ein paarmal in Gedanken und wartete auf ein vertrautes Echo, vielleicht den Hauch einer Erinnerung, aber da war nichts. Dennoch erfüllte ihn das Wort mit einem sonderbaren Unbehagen. Der Gestalt einen Namen zu geben, war nicht gut, denn wenn man einem Ding einen Namen gab, dann wurde es dadurch ein Stück realer.
    Umgekehrt sah der Zwerg ihn nun unter seiner Kapuze heraus eindeutig erwartungsvoll an, und Thor glaubte seine Enttäuschung zu spüren. Nach einer Weile wandte er sich wieder um und sah erneut auf das Meer hinaus. Thor erblickte Torben, der es in der kurzen Zeit zurück aufs Deck des Naglfar geschafft und auch seine Lieblingsbeschäftigung schon wieder aufgenommen hatte: Er trieb die Männer mit lautem Gebrüll zur schnelleren Arbeit an. Irgendwie schien er Thors Blick zu spüren, denn er hielt kurz in seinem Gezeter inne, sah in seine Richtung und winkte ihm dann zu. Offenbar sah er den Zwerg nicht. Thor hätte es auch gewundert.
    »So viele Männer«, fuhr Dwegr nach einer Weile fort, und in einem Ton, der gleichermaßen beiläufig wirkte, als rede er nur mit sich selbst, wie auch durch und durch boshaft. »Mehr als tausend, nicht wahr? Eine gewaltige Armee. Oh, ich weiß, ihr Menschen werft gerne mit großen Zahlen um euch und erzählt von Heeren, die Hunderttausende zählen, und Armeen, unter deren Stiefeltritten die Welt in ihren Grundfesten erbebt, aber die Wahrheit sieht ja wohl ein bisschen anders aus, wie wir beide wissen, nicht wahr?«
    »Ich höre dir gar nicht mehr zu«, entschied Thor. »Ich stehe hier und rede mit mir selbst. Das ist albern.«
    »Mehr als tausend«, fuhr Dwegr so unbeeindruckt fort, als hätte er gar nichts gesagt. »Sie waren der Stolz deines Volkes, nicht wahr? Die Blüte einer ganzen Generation. Sie haben dir vertraut, Thor. Du hast ihnen eine bessere Zukunft versprochen, und denen, die im Ringen um diese Zukunft vielleicht ihr Leben lassen, einen Platz an der Tafel von Walhalla.« Er lachte böse. »Aber Odin ist ein stolzer Gott, und unbarmherzig. Wusstest du das nicht? Nur wer im Kampf fällt, findet einen Platz zu seiner Rechten. Und sind sie im Kampf gefallen?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Du hast ihnen eine bessere Zukunft und einen Platz an Odins Tafel versprochen, Thor. Aber sie haben keine Zukunft mehr, sondern liegen auf dem Meeresgrund und werden von den Fischen gefressen.«
    »Ich rede nur mit mir selbst«, beharrte Thor.
    »Wenn das so ist«, gab der Zwerg zurück, »warum hörst du dann nicht auf dich? Wer sollte dich besser kennen als du selbst?«
    Darauf sagte Thor vorsichtshalber gar nichts mehr. Die Situation war nicht nur absurd, sie kam ihm mehr und mehr ... falsch vor.
    »Jetzt bleiben dir noch hundert«, fuhr Dwegr fort, als ihm klar wurde, das Thor nicht antworten würde. »Siebenundneunzig, um genau zu sein. Weniger als einer von zehn. Wenn du wirklich glaubst, ihr Gott zu sein, wäre es dann nicht deine Pflicht, wenigstens ihre Leben zu retten?«
    »Du bist ich«, sagte Thor stur. »Also kennst du die Antwort.«
    »Vielleicht«, antwortete Dwegr. »Vielleicht auch nicht ... wer kennt sich schon wirklich selbst? Und vielleicht irrst du dich ja auch, und ich bin gar nicht du?«
    Er lachte meckernd, aber die Schatten, hinter denen sich sein zerfurchtes Greisengesicht verbarg, wogten auf eine Art, die das genaue Gegenteil aus diesem Laut machte. »Ich kenne dich, Thor. Ob ich nun du bin oder nicht, ich weiß, wer du bist und warum ihr hergekommen seid. Ich weiß, dass dir dein Leben nichts gilt, weil du dich für einen Gott hältst und über den Belangen der Sterblichen zu stehen glaubst. In einem gewissen Sinn ... stimmt das sogar. In einem anderen bist du einfach nur erbärmlich.«
    »Und?«, fragte Thor kalt.
    »Vielleicht doch nicht so erbärmlich, nicht das Leben wenigstens dieser wenigen zu retten«, antwortete Dwegr. »Ihr werdet sterben, Thor. Sie alle, und du auch. Keiner von euch wird seine Heimat wiedersehen, wenn ihr nicht geht. Dieses Land ist nicht für Menschen.«
    »Dieses Land?«
    »Asgard.«
    »Das ist lächerlich«, sagte Thor impulsiv. »Wir kommen aus Asgard.«
    Dwegr gab einen seltsamen Laut von sich. »Ihr nennt eure Heimat Asgard, und du nennst dich und deine Brüder Götter! Aber etwas zu behaupten, macht es deshalb nicht gleich wahr.« Er schüttelte so heftig den Kopf, dass sein Mantel raschelte; ein Laut wie von haarigen Spinnenbeinen auf Haut.

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