Der Hase mit den Bernsteinaugen
Tokioter Polizei schätzte, dass 230000 Personen Mac-Arthurs Abschied zusahen. »Es war eine ruhige Menge«, schrieb die New York Times, »die wenig äußere Anzeichen von Emotion erkennen ließ …« Bei den Anhörungen im Senat nach seiner Rückkehr verglich MacArthur die Japaner mit einem Zwölfjährigen, im Vergleich zu einem fünfundvierzigj ährigen angelsächsischen Erwachsenen: »Man kann ihnen die grundlegenden Begriffe einpflanzen. Sie sind dem Ursprung nahe genug, um elastisch und offen für neue Auffassungen zu sein.«
Das wirkte wie eine öffentliche, weltweit verbreitete Demütigung für ein nach sieben Jahren Besatzung souverän gewordenes Land. Seit dem Krieg war Japan in großem Maßstab wiederaufgebaut worden, teilweise durch amerikanische Finanzhilfe, zum großen Teil aber aufgrund der eigenen unternehmerischen Fähigkeiten. Die Keimzelle von Sony zum Beispiel war 1945 eine Radioreparaturwerkstätte in einem ausgebombten Warenhaus in Nihonbashi. Die Firma schuf ein neues Produkt nach dem anderen - 1946 elektrische Heizkissen, im Jahr darauf das erste Tonbandgerät Japans , indem sie junge Wissenschaftler beschäftigte und Material auf dem Schwarzmarkt zusammenkaufte.
Wenn man im Sommer 1951 über die Ginza schlenderte, die wichtigste Einkaufsstraße Tokios, passierte man ein Geschäft nach dem anderen, das von Waren überquoll: Japan hatte Erfolg in der modernen Welt. Man kam auch bei Takumi vorbei, einem langgezogenen, engen Laden, wo neben aufgestapelten dunkelfarbigen Schüsseln und Tassen Ballen mit Indigotuch von Volkskunstwebern lagen. 1950 hatte die japanische Regierung den Begriff des »Lebenden Nationalen Kulturguts« eingeführt; das waren zumeist ältere Männer, deren Kunstfertigkeit in Lackarbeiten, Färberei oder Töpferei mit einer Staatspension, Ruhm und Ansehen belohnt wurde.
Der Geschmack hatte sich gewandelt, hin zum Gestischen, Intuitiven, Unsagbaren. Alles, was in irgendeinem entlegenen Dorf entstanden war, galt als »traditionell« und wurde als urjapanisch vermarktet. Damals begann der Japan-Tourismus, und die Japanische Eisenbahngesellschaft brachte Broschüren heraus: »Einige Anregungen für Souvenirsucher«. »Keine Reise wäre vollständig ohne ein paar Souvenirs, die man mit nachhause nimmt.« Es galt, mit dem richtigen o-miyagi, einem Geschenk, heimzukehren. Das konnte ein süßes Gebäck sein, eine Art Keks oder ein für ein Dorf typischer Knödel, eine Schachtel Tee, eingelegter Fisch. Oder Kunsthandwerk, handgeschöpftes Papier, eine Teeschale aus einem Dorfbrennofen, eine Stickerei. Aber unter dem Papier und der Kordel der Verpackung musste die regionale Besonderheit pulsieren, ihr kalligraphisches Zeichen: Japan wird kartiert, eingeteilt in eine Geographie der passenden Geschenke. Kein o-miyagi mitzubringen wäre in gewissem Sinne ein Affront gegen die Vorstellung des Reisens an sich gewesen.
Netsuke wurden nun mit der Meiji-Zeit und der Öffnung Japans assoziiert. In der Hierarchie der Kunstgegenstände galten sie, da allzu geschickt, jetzt wenig: Sie umgab die etwas abgestandene Aura des Japonismus, des Ausverkaufs Japans an die Welt. Sie waren einfach zu kunstfertig gemacht.
Wie viele Kalligraphien auch immer gezeigt würden - ein einziger explosiver Pinselstrich in Schwarz, ausgeführt von irgendeinem Mönch, jahrzehntelange Konzentration innerhalb von vier kontrollierten Sekunden -, man brauche bloß jemandem etwas Kleines aus Elfenbein zu zeigen, »eine Gruppe von Kiyohimi und ein Drache, der sich um die Tempelglocke ringelt, unter der sich der Mönch Anchin verbirgt«, und jeder breche in Bewunderung aus, hieß es. Nicht über den Einfall, die Komposition, aber über die Tatsache, dass sich jemand so lange auf etwas so Kleines konzentrieren habe können. Wie hatte Tanaka Minko den Mönch unter der Glocke durch das winzige, winzige Loch schnitzen können? Netsuke waren bei Amerikanern einfach zu beliebt.
In einem japanisch verfassten Artikel in Nihon Keiza Shimbun, dem Tokioter Pendant des Wall Street Journal, erzählte Iggie von seinen Netsuke. Er beschrieb seine Erinnerungen an sie aus seiner Kindheit in Wien und wie sie unter den Augen der Nazis in der Schürzentasche eines Hausmädchens aus dem Palais gerettet worden waren. Und er schrieb über ihre Rückkehr nach Japan. Ein glückliches Geschick habe sie nach drei Generationen in Europa wieder nach Japan zurückgebracht. Er habe, schrieb Iggie, Mr. Yuzuru Okada vom Tokyo National Museum in Ueno,
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