Der Hase mit den Bernsteinaugen
der über Netsuke gearbeitet habe, ersucht, die Sammlung zu prüfen. Armer Mr. Okada, denke ich, der Abend für Abend den weiten Weg ins Haus eines gaijin auf sich nimmt, um schon wieder einer von einem Ausländer zusammengetragenen Nippessammlung ein anerkennendes Lächeln zu schenken. »Er wollte zunächst nicht kommen - ich wusste nicht, warum - und betrachtete dann die fast dreihundert Netsuke, die auf dem Tisch ausgebreitet lagen, als wolle er kein einziges mehr sehen … Mr. Okada nahm eines meiner Netsuke in die Hand. Dann begann er das zweite sorgfältig mit einem Vergrößerungsglas zu untersuchen. Schließlich, nachdem er das dritte lange begutachtet hatte, stand er abrupt auf und fragte mich, wo ich sie herhätte …«
Es waren große Beispiele japanischer Kunst. Sie mochten damals aus der Mode sein - in Okadas Museum im Ueno-Park im Tokioter Nationalmuseum für japanische Kunst stand in den frostigen Räumen voller Tuschemalereien nur eine einzige Vitrine mit Netsuke -, das hier aber waren echte Skulpturen für die Hand.
Neunzig Jahre, nachdem sie Yokohama verlassen haben, nimmt jemand eines dieser Netsuke auf und weiß, wer es geschaffen hat.
Das echte Japan
Anfang der 1960er Jahre war Iggie bereits lange in Tokio ansässig. Europäische und amerikanische Kollegen waren zu Dreijahresaufenthalten gekommen und wieder gegangen. Iggie hatte die Besatzung gehen sehen. Er war immer noch in Tokio.
Er hatte einen Japanischlehrer genommen und beherrschte die Sprache jetzt sehr gut, fließend und in allen Nuancen. Jeder Ausländer, der auf Japanisch ein paar entschuldigende Phrasen stammeln kann, wird wegen seiner außerordentlichen Kenntnisse beglückwünscht. ]ozu desu ne: Mein Gott, wie gut Sie das können! Mein eigenes Japanisch, herzzerreißend schwerfällig, voll seltsamer Dehnungen und abrupter Tonhöhenwechsel, ist oft genug gelobt worden, ich weiß, wie das läuft. Aber ich hörte Iggie sprechen und weiß, dass er Japanisch wirklich beherrschte.
Er liebte Tokio. Er liebte die Art, wie die Skyline sich veränderte, den rostroten, Ende der 1950er Jahre erbauten Tokyo Tower, geplant als Gegenstück zum Eiffelturm; die neuen Wohnblocks, die sich scharf vor den rauchigen Yakitori-Buden abzeichneten. Er identifizierte sich mit der Fähigkeit der Stadt, sich neu zu erfinden. Diese Möglichkeit schien gottgesandt. Es habe eine eigenartige Beziehung zwischen dem Wien von 1919 und dem Tokio von 1947 gegeben, meinte er. Wer nicht so sehr am Boden gewesen sei, wisse nicht, wie man etwas aufbauen könne, könne nicht ermessen, was er aufgebaut habe. So jemand würde immer glauben, das sei jemand anderem zu verdanken.
Wie hältst du es hier bloß aus, wurde Iggie von Ausländern immer wieder gefragt. Langweilt dich denn nicht das ewig gleiche alte Zeug?
Iggie erzählte mir, was das Leben der Ausländer in Tokio ausmachte, die acht zähen Stunden zwischen den Aufträgen an das Hausmädchen und die Köchin nach dem Frühstück und dem ersten Cocktail um halb sechs. Als Geschäftsmann in Japan hatte man sein Büro, und dann ging man in Gesellschaft. Manchmal zu Geisha-Partys, die so lange dauerten, so langweilig und kostspielig waren, dass Iggie sich verfluchte, aus Leopoldville weggegangen zu sein. Jeden Abend, frisch rasiert, nahm er Drinks mit Kunden. Zuerst in der Bar im Imperial, dunkler Mahagoni und Samt, Whisky Sour, ein Klavierspieler. Dann im American Club, im Presseclub, im International House. Dann vielleicht eine weitere Bar. D. J. Enright, ein englischer Lyriker, zu Gast in Japan, zählte seine Lieblingsbars auf: die Bar Renoir, Bar Rimbaud, La Vie en Rose, Sous les Toits de Tokyo und seine Favoritin: La Peste.
Arbeitete man nicht, musste man diese acht Stunden irgendwie ausfüllen. Was konnte man tun? Bei Kikokuniya an der Ginza nachsehen, ob neue Romane und Zeitschriften aus dem Westen eingetroffen waren, oder zur Maruzen-Buchhandlung, wo noch aus der Vorkriegszeit Bücher über das Leben der Kleriker standen, seit dreißig Jahren auf den Regalen? Oder in eines der Cafés im Dachgeschoss der Warenhäuser?
Leute kommen zu Besuch. Aber wie oft nimmt man Gäste mit, um den großen Buddha in Kamakura oder die Schreine der Tokugawa-Shogune in Nikko zu sehen - roter Lack und Gold, den Hügel voller Sicheltannen hinauf? Vor den Tempeln in Kyoto oder dem Schrein in Nikko oder an den Stufen zum Buddha in Kamakura stehen die Buden der Souvenirverkäufer, der Männer, die Gebetszettel verhökern, der
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