Der Hase mit den Bernsteinaugen
Werke der italienischen Renaissance, des Italien der Kaufleute und Bankiers zelebriert: eine Erinnerung daran, dass großes Mäzenatentum durch den geschickten Einsatz von Geld entsteht und keine Sache des Erbteils ist. Ferneres hatte keine große Eingangshalle, ritterlich, christlich, sondern einen zentralen Innenhof, von dem aus vier große Eingänge in die verschiedenen Flügel führten. Unter einem Deckengemälde von Tiepolo gab es eine Galerie mit Wandteppichen, Skulpturen aus schwarzem und weißem Marmor und Bilder von Velazquez, Rubens, Guido Reni und Rembrandt. Und vor allem viel, viel Gold: Gold auf den Möbeln, auf den Bilderrahmen, auf den Leisten, in den Wandteppichen; überall eingelassen waren vergoldete Symbole der Rothschilds. Le goüt Rothschild wurde zum Kürzel für Vergoldetes. Juden und ihr Gold.
Charles’ Sensibilität lässt ihn nicht so weit gehen wie Ferneres. Er hat natürlich auch weniger Platz: bloß seine zwei Salons und sein Schlafzimmer. Doch Charles besitzt nicht nur einen Ort, wo er seine neuen Besitztümer und seine Bücher arrangieren kann, er sieht sich auch als jungen, wissenschaftlich vorgehenden Sammler. Er ist in der ungewöhnlichen Lage, zugleich absurd wohlhabend und sehr eigenständig zu sein.
Nichts davon lässt mich mit ihm warmwerden. Ganz im Gegenteil, das Bett macht mir ein mulmiges Gefühl; ich bin mir nicht sicher, wie lange ich es mit diesem jungen Mann und seinem Sinn für Kunst und Inneneinrichtung, Netsuke hin oder her, aushalte. Connaisseur, schrillen die Alarmglocken. Glaubt, schon alles zu wissen, zu jung dafür.
Und natürlich viel, viel zu reich für sein eigenes Wohl.
Mir wird klar, dass ich verstehen muss, wie Charles die Dinge betrachtete, und deshalb muss ich seine Schriften lesen. Hier bin ich auf sicherem akademischem Terrain: Ich werde eine umfassende Bibliographie anfertigen und mich dann in chronologischer Reihenfolge vorarbeiten. Ich beginne mit den alten Bänden der Gazette des Beaux-Arts aus der Zeit, als Charles sich in Paris niederließ, notiere mir seine ersten, ziemlich trockenen Kommentare zu Malern des Manierismus, Bronzearbeiten und Holbein. Ich fühle mich zielstrebig, wenn auch pflichtbewusst. Er hat einen venezianischen Lieblingsmaler, Jacopo de Barbari, dessen Lieblingsthemen der heilige Sebastian, der Kampf der Tritonen und sich windende gefesselte Nackte waren. Ich bin mir nicht sicher, als wie bedeutsam sich diese Vorliebe für erotisch aufgeladene Sujets herausstellen wird. Laokoon fällt mir ein, und mir wird ein wenig bange.
Seine Anfänge sind nicht besonders. Notizen zu Ausstellungen, Büchern, Essays, Anmerkungen zu Publikationen anderer: das übliche kunsthistorische Schwemmgut an den Rändern von anderer Leute Gelehrsamkeit (»Anmerkungen zur Authentifizierung von«, »Bemerkungen zum Werkverzeichnis von«). Diese Texte sind ein wenig wie seine italienischen Sammlungen, und mir scheint, ich komme nur langsam voran. Doch im Verlauf der Wochen fange ich mich in Charles’ Gesellschaft allmählich zu entspannen an: Der erste Sammler der Netsuke schreibt immer flüssiger. Es gibt unerwartete Gefühlsregister. Drei Wochen meines kostbaren Frühlings verstreichen, dann weitere vierzehn Tage, ein hirnrissiger Aufwand an Tagen, die sich im Dämmerlicht des Zeitschriftenlesesaals abspulen.
Charles lernt, Zeit mit einem Bild zu verbringen. Man fühlt, dass er hinschaute, wegging, wieder hinschaute. Es gibt Essays über Ausstellungen, wo man dieses Antippen an der Schulter fühlt, dieses Umwenden, um noch einmal hinzusehen, das Näher-Herankommen, Zurücktreten. Man spürt seine wachsende Sicherheit und Leidenschaft, und dann endlich eine zunehmende Härte, die Abneigung gegen vorgefasste Meinungen. Charles tariert seine Gefühle mit seinen Urteilen aus, schreibt aber so, dass man beides spürt. Das ist selten, wenn jemand über Kunst schreibt, denke ich, während in der Bibliothek die Wochen verfliegen und der Stapel der Gazettes rund um mich immer höher wird, ein Turm neuer Fragen, jeder Band eine Matrix voller Lesezeichen, gelber Post-its und Reservierungsscheine.
Meine Augen schmerzen. Die Schrift ist acht Punkt, die Anmerkungen sind noch kleiner. Wenigstens meldet sich mein Französisch schön langsam zurück. Ich denke allmählich, mit dem Mann könnte ich arbeiten. Meistens gibt er nicht an damit, wie viel er weiß. Er möchte uns das, was er vor sich hat, deutlicher sehen lehren. Das ist ehrenwert genug.
»Ein
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