Der Hase mit den Bernsteinaugen
von italienischen Broderien aus dem 16. Jahrhundert, üppig bestickten Stoffen. Eine Art satirischer Altar mit dem Faun statt eines Märtyrers.
Es gibt eine Abbildung dieses Altars, sie findet sich in einer riesigen dreibändigen, kastanienbraun gebundenen Folioausgabe in der Bibliothek des Victoria and Albert Museum. Ich fülle den Bestellschein aus, unter Scherzen und Witzeln schafft man sie auf einem Krankenhauswägelchen in den Lesesaal. Dieses »Musee Graphique« enthält Stiche aller wichtigen Sammlungen von Renaissancekunst in Europa, besonders jener von Sir Richard Wallace (Wallace Collection, London), diverser Rothschilds - und des dreiundzwanzigjährigen Charles. Diese Folios sind Selbstzahler-Produkte in kolossalem Maßstab, herausgegeben von Sammlern, um andere Sammler zu beeindrucken. Drei Seiten nach seiner erlesenen Nische für den Faun - dunkles Burgunderrot mit plastischer Goldstickerei, Tafelbilder mit Heiligenfiguren, Wappen - wird ein weiterer Teil seiner Kollektion vorgestellt.
Ich muss laut lachen: ein gigantisches Renaissancebett, ein lit de parade, ebenfalls mit Broderien behangen. Ein hoher Baldachin mit Putti, umfasst von komplizierten Mustern, Groteskköpfen, heraldischen Emblemen, Blumen, Früchten. Zwei schwere Vorhänge, zusammengehalten von Schnüren mit dicken Troddeln, auf jedem ein E vor goldenem Hintergrund. Am Kopfteil des Bettes ein weiteres E. Ein herzogliches, beinahe fürstliches Bett. Es gehört ins Reich der Phantasie. Von einem solchen Bett aus könnte man einen Stadtstaat regieren, eine Audienz geben, man könnte darin Sonette schreiben und ganz sicher jemanden lieben. Was für ein junger Mann würde ein solches Bett kaufen?
Ich notiere mir die lange Liste seiner neuen Besitztümer und versuche mir vorzustellen, wie es wäre, dreiundzwanzig zu sein, während die Kisten mit all den Kostbarkeiten die geschwungene Treppe in den zweiten Stock hinaufgetragen und dann geöffnet werden, Holzsplitter und Sägespäne fliegen herum; wie ich sie in meiner Zimmerflucht aufstelle, in der von den straßenseitigen Fenstern einfallenden Morgensonne zu arrangieren versuche. Sollen Besucher, die den Salon betreten, zuerst eine Wand voller Zeichnungen oder eine Tapisserie zu Gesicht bekommen? Sollen sie einen Blick auf mein lit de parade erhaschen? Ich stelle mir vor, wie ich die Emailarbeiten meinen Eltern und Brüdern zeige, wie ich vor ihnen renommiere. Und plötzlich, verlegen, fühle ich mich wieder wie sechzehn, zerre mein Bett in den Flur und schlafe auf dem Boden, nagle einen Teppich über der Matratze fest, eine Art Baldachin. Hänge an Wochenenden meine Bilder um, sortiere die Bücher neu, versuche, wie es sich anfühlt, seinen eigenen Raum umzugestalten. Es fühlt sich äußerst realisierbar an.
Das ist natürlich ein Bühnenbild. Charles hat nur Gegenstände gesammelt, die das Auge eines Kenners benötigen, Gegenstände, die von Wissen, von Geschichte, Abstammung, vom Sammeln selbst künden. Dröselt man die Liste der Schätze auf - Gobelins, die nach Vorzeichnungen Raffaels gewebt wurden, Skulpturen nach Donatello -, spürt man, wie Charles sich die Entfaltung der Kunst im Laufe der Geschichte zu eigen macht. Nach Paris zurückgekehrt, schenkt er eine seltene Medaille aus dem 15. Jahrhundert - Hippolytus wird von wilden Pferden zerrissen - dem Louvre. Mir scheint, ich höre allmählich den jungen Kunsthistoriker zu seinen Besuchern sprechen. Man merkt das Notizbuch, nicht nur das Geld.
Doch ich spüre allmählich auch sein Ergötzen an den Gegenständen: die erstaunliche Schwere von Damast, die kühle Oberfläche des Emails, die Patina auf den Bronzearbeiten, die wulstigen Fäden in den plastischen Stickereien.
Diese erste Sammlung ist durch und durch konventionell. Viele Freunde seiner Eltern hatten wahrscheinlich ähnliche Sachen zuhause und stellten sie zusammen, um vergleichbare opulent-dekorative Tableaus zu schaffen, so wie der junge Charles in seinem Pariser Schlafzimmer seine burgunderrot-goldene mise en scene schuf. Es ist bloß eine verkleinerte Version dessen, was es auch in anderen jüdischen Haushalten gab. Er zeigt, für einen jungen Mann ziemlich emphatisch, wie erwachsen er ist. Und er bereitet sich auf ein Leben in der Öffentlichkeit vor.
Wollte man solche Versatzstücke in großem Maßstab sehen, musste man die Häuser der Rothschilds in Paris besuchen oder natürlich James de Rothschilds neues Palais in Ferneres außerhalb der Stadt. Hier wurden die
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