Der Hase mit den Bernsteinaugen
natürlich mit Illustrationen, durchschossen mit Seidenpapier. Die ideale Zeitschrift, für die ein junger Mann schreiben kann, eine Visitenkarte für die Zirkel am Schnittpunkt von Gesellschaft und Kunst.
Ich finde die Spuren dieser Schnittpunkte, indem ich mir gewissenhaft einen Weg durch die Gesellschaftsspalten in den Pariser Zeitungen der 1870er Jahre bahne. Anfangs ist das bloß das notwendige Weghacken des Unterholzes, bald aber wird es seltsam zwanghaft, eine Erholung von dem Versuch, jede einzelne Ausstellungsbesprechung von Charles aufzuspüren. Hier finden sich die immergleichen labyrinthischen Aufzählungen von Zusammenkünften und Gästen, die Details, wer was getragen hat, wer gesehen wurde, jede Namensliste genau austariert zwischen kalter Schulter und treffendem Urteil.
Besonders fesselnd finde ich die Anführung von Hochzeitsgeschenken bei Trauungen in der guten Gesellschaft; ich beschwichtige mich, das sei wichtige Forschungsarbeit über Geschenkkultur, und verbringe peinlich viel Zeit damit, herauszufinden, wer übermäßig großzügig, wer geizig und wer einfallslos war. Meine Ururgroßmutter schenkt bei einer Society-Hochzeit im Jahr 1874 ein goldenes Vorlegeservice in Muschelform. Vulgär, denke ich, ohne einen rechten Beweis dafür zu haben.
Und zwischen all den Pariser Bällen und musikalischen Soireen, den Salons und Empfängen finde ich allmählich Erwähnungen der drei Brüder. Sie treten gemeinsam auf: MM. Ephrussi werden bei einer Opernpremiere in der Loge gesehen, bei Begräbnissen, bei den Empfängen von Fürst X und Gräfin Y. Der Zar weilt zu Besuch in der Stadt, und sie sind zugegen, um ihn als prominente russische Staatsbürger zu begrüßen. Sie geben gemeinsam Gesellschaften, man notiert die »Reihe von prachtvollen Diners, die sie gemeinsam veranstalten«, wie andere sportsmen werden sie auf dem letzten Schrei gesichtet, dem Fahrrad. Eine Spalte in Le Gaulois ist den deplacements gewidmet - wer ist nach Deauville abgereist, wer nach Chamonix -, und so weiß ich, wann sie aus Paris zu den Ferien in Jules’ und Fannys noblem Chalet Ephrussi in Meggen aufbrechen. Von ihrem goldenen Haus auf der Anhöhe aus scheinen sie binnen weniger Jahre, nachdem sie sich niedergelassen haben, in der Pariser Gesellschaft akzeptiert zu sein. Monceau, fällt mir ein, Emporkömmling.
Abgesehen davon, dass er seine Räume umgestaltet und an seinen gewundenen Kunsthistoriker-Perioden feilt, hat der elegante Charles nun neue Interessen: Er hat eine Geliebte. Und er hat begonnen, japanische Kunst zu sammeln. Sex und Japan, sie sind miteinander verwoben.
Noch besitzt er keine Netsuke, doch er kommt ihnen schon näher. Ich feuere ihn an, während er seine Sammlung aufbaut; zunächst kauft er Lackarbeiten bei Philippe Sichel, einem Händler für japanische Kunst. Goncourt schreibt in seinem Tagebuch, er sei bei Sichel gewesen, »wo das jüdische Geld zusammenströmt«; er tritt in ein Hinterzimmer, um das jüngst eingetroffene objet zu begutachten, ein Album mit erotischen Drucken, vielleicht eine Bilderrolle. Hier trifft er auf »La Cahen d’Anvers, die gemeinsam mit ihrem Geliebten, dem jungen Ephrussi, ein Lackkästchen bewundert. Sie bedeutet ihm den Tag, wann er mit ihr schlafen kann.«
»So leicht, so lind anzufühlen«
Charles’ Geliebte ist Louise Cahen d’Anvers, einige Jahre älter als er und sehr hübsch, mit rotgoldenem Haar. »La Cahen d’Anvers« ist mit einem jüdischen Bankier verheiratet und hat vier kleine Kinder, einen Buben und drei Mädchen. Als ein fünftes kommt, gibt Louise ihm den Namen Charles.
Über Pariser Ehen weiß ich nur aus den Romanen von Nancy Mitford Bescheid, aber das kommt mir nun schon ziemlich abgebrüht vor. Und beeindruckend - ich würde am liebsten die bourgeoise Frage stellen, wie man die Zeit für fünf Kinder, einen Ehemann und einen Geliebten aufbringt. Die beiden Clans sind gut miteinander bekannt. Nicht nur das: Als ich auf der Place d’Iena vor Jules’ und Fannys ehelicher Wohnung stehe, über dem Portal prangen ihre und seine schwülstig ineinander verschlungenen Initialen, fällt mir auf, dass ich über die Straße direkt zu Louises ebenso barockem neuem Palais an der Ecke der Rue Bassano sehen kann. Nun frage ich mich, ob die kluge, energische Fanny diese Affäre für ihre beste Freundin eingefädelt hat.
An dem Arrangement war sicherlich etwas sehr Intimes. Sie trafen einander ständig bei den üblichen Empfängen und Bällen, und
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