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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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Arbeiten von Paul Baudry, der den Plafond in der Pariser Oper mit Malereien versah, versiert im Ausschmücken der barocken Kartuschen in den neuen Gebäuden der Pariser Belle Epoque. Baudrys Arbeiten wurden von den Impressionisten als bombastischer Schmarrn verhöhnt - ein akademischer Maler, wie der verhasste William-Adolphe Bouguereau. Besonderen Erfolg hatte er mit seinen Akten. Und das bis heute. Ein Baudry-Gemälde, eine Welle, die sich über einem hingestreckten Mädchen bricht, »Die Perle und das Meer«, findet als Poster reißenden Absatz, das Sujet ist auch in Museumshops und auf Kühlschrankmagneten allgegenwärtig. Und Baudry war Charles’ engster Freund unter den Künstlern, ihre Briefe sind voller Bekundungen der Zuneigung. Charles war sein Biograph und Testamentsvollstrecker.
    Vielleicht sollte ich weiter jedes Bild aufspüren, das in Charles’ Zimmer mit den Netsuke gehangen hat. Ich beginne damit, alle Museen zu verzeichnen, in denen seine Bilder sich heute befinden, und versuche nachzuvollziehen, wie sie dorthin gelangt sind. Ich überlege, wie lange es dauern würde, vom Art Institute of Chicago zum Musee de la Ville de Gerardmer zu fahren, um mir Manets »Rennen in Longchamp« neben Degas’ Doppelporträt des Generals und des Rabbiners in der Phantasie vor Augen zu führen. Ich überlege, ob ich mein weißes Netsuke des Hasen mit den Bernsteinaugen in die Tasche stecken soll, um Objekt und Abbild wieder zusammenzubringen. Eine Tasse Kaffee lang begrüble ich das als reale Möglichkeit, als eine Methode, in Bewegung zu bleiben.
    Mein Zeitplan ist nutzlos geworden. Mein anderes Leben als Töpfer liegt auf Eis. Ich soll einem Museum Antwort geben. Ich sei verreist, sagen meine Mitarbeiter, wenn jemand anruft, und nicht zu erreichen. Ja, ein großes Projekt. Er meldet sich.
    Stattdessen unternehme ich die vertraute Fahrt nach Paris, stehe unter Baudrys Deckengemälden in der Oper und eile dann hinüber ins Musee d’Orsay, um Charles’ einzelnen Spargel von Manet und die zwei Moreau-Bilder zu betrachten, die nun dem Museum gehören; ich möchte sehen, ob das alles zusammenhängt, ob es klingt, ob ich sehen kann, was sein Auge sah. Das aber kann ich natürlich nicht, aus dem einfachen Grund, weil Charles kauft, was ihm gefällt. Er kauft Kunst nicht, weil es irgendeinen Zusammenhang gibt oder weil er Lücken in seiner Sammlung füllen will. Er kauft Bilder seiner Freunde, mit all den Komplikationen, die das mit sich bringt.
    Charles hat auch außerhalb der Künstlerateliers viele Freunde. Die Samstagabende verbringt er mit Kollegen im Louvre, jeder Sammler oder Schriftsteller bringt eine Zeichnung oder einen Kunstgegenstand mit, oder man diskutiert über Probleme der Zuschreibung: »Wie viele schöne Stunden haben wir nicht in vertrauten und lehrreichen Gesprächen verbracht«, erinnerte sich der Kunsthistoriker Clement de Ris. »Alles konnte aufs Tapet kommen, außer Pedanterie! Was wir dort alles gelernt haben und nie hinterfragen mussten! Welch unermüdliche Reisen in alle Museen Europas wir auf diesen schönen Stühlen im Louvre unternahmen!« Charles hatte anregende Kollegen, die bei der Gazette arbeiteten. Seine Freunde waren Nachbarn, so die Brüder Camondo und Cernuschi, denen man jederzeit eine Neuerwerbung zeigen konnte.
    Charles wurde allmählich eine öffentliche Person. 1885 war er Eigentümer der Gazette geworden. Er war behilflich gewesen, Geld aufzutreiben, damit der Louvre einen Botticelli erwerben konnte. Er schrieb und betätigte sich auch als Kurator: 1879 war er an der Organisation von Ausstellungen mit Zeichnungen Alter Meister beteiligt, 1882 und 1885 von Porträtausstellungen. Es war eine Sache, ein genießerischer, vagabundierender junger Mann zu sein, eine ganz andere, solche Verantwortung, einen solch genauen Blick zu haben. Eben war er wegen seiner Verdienste um die Kunst zum Ritter der Ehrenlegion ernannt worden.
    Den größten Teil seines Arbeitslebens verbrachte er im Blick der Öffentlichkeit, im Blick von Kollegen, Nachbarn, Freunden, seinen jungen Sekretären, seiner Geliebten und ihrer Familie.
    Proust, ein Neuling, noch nicht ganz ein Freund, kam nun regelmäßig zu Besuch, er schlürfte Charles’ hochfliegende Konversation auf, die Art, wie er seine neuen Kostbarkeiten arrangierte, seine umfassenden Beziehungen. Charles kannte Proust mit seinem gesellschaftlichen Heißhunger gut genug, um ihm zu raten, dass man nach einem Diner um Mitternacht aufbricht, da die

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