Der Hase mit den Bernsteinaugen
Spielzeug. Es hat nichts zu tun mit den Ersparnissen, die man an Markttagen sorgsam in die Bank trägt oder in der Kaffeekanne auf dem Bord versteckt. Das ist ein anschauliches Bild einer geheimen Kraft, einer Verschwörung. Es hat die Intensität von Degas’ Bild »In der Börse«, wo sich hakennasige, rotbärtige Financiers zwischen den Säulen im Flüsterton besprechen. Die Börse und ihre Spieler gehen über in den Tempel und die Geldverleiher.
»Wer wird diesen Männern den Lebensnerv abgraben, wer wird Frankreich bald zum Brachland machen? … Es ist der Spekulant in ausländischem Weizen, es ist der Jude, der Freund des Grafen von Paris … der Liebling aller Salons im Aristokratenviertel; es ist Ephrussi, der Häuptling der jüdischen Bande, die in Weizen spekuliert.« Spekulation, Geld aus Geld zu machen, gilt als ausgesprochen jüdisches Vergehen. Sogar Theodor Herzl, der Apologet des Zionismus, der für seine Sache immer gerne Geld von reichen Juden nahm, äußert sich in einem Brief ruppig über »den Spekulanten Ephrussi«.
Ephrussi et Cie besaßen außerordentlichen Einfluss. Als die Brüder sich während einer Krise nicht an der Börse blicken ließen, entstand Panik. In einem besorgten Zeitungsbericht während einer weiteren Krise nahm man ihre Drohung ernst, als Reaktion auf Pogrome in Russland die Märkte mit billigem Weizen zu überschwemmen. »[Die Juden] … haben die Macht dieser Waffe zu gebrauchen gelernt, als sie Russland während der letzten Judenverfolgungen zwangen, sich zurückzuhalten … indem sie russische Wertpapiere in dreizehn Tagen um vierundzwanzig Punkte abwerteten. >Krümmt unseren Leuten noch ein Haar<, sagte Michel Ephrussi, Chef des großen Hauses in Odessa, der größten Getreidehändler der Welt, >und ihr sollt keinen einzigen Rubel mehr haben, um euer Reich zu retten.<« Kurz gesagt, die Ephrussi waren sehr reich, sehr sichtbar und sehr parteiisch.
Drumont, Chefredakteur einer antisemitischen Tageszeitung, fungierte als Einwinker solcher Ansichten in gedruckte Form. Er sagte den Franzosen, woran man einen Juden erkenne - eine Hand sei größer als die andere - und wie man der Bedrohung, die diese Rasse für Frankreich bedeute, begegnen könne. Sein Buch »La France Juive« (»Das jüdische Frankreich«) verkaufte sich im Erscheinungsjahr 1886 hunderttausend Mal. 1914 waren bereits zweihundert Auflagen erschienen. Drumont argumentierte, die Juden seien im Grunde ihres Wesens Nomaden und fühlten sich deswegen keinem Staat verpflichtet. Charles und seine Brüder, russische Staatsbürger aus Odessa und Wien und Gott weiß woher, hätten nur ihre eigenen Interessen im Auge, während sie das Lebensblut Frankreichs aussaugten, indem sie mit realem französischem Geld spekulierten.
Die Ephrussi hielten sich für echte Pariser. Drumont hingegen tat das nicht: »Die aus allen Ghettos Europas ausgespienen Juden sitzen jetzt als Herren in altehrwürdigen Häusern, die die glorreichsten Erinnerungen an das alte Frankreich wachrufen … Überall Rothschilds: in Ferneres und Les Vaux-de-Cernay … Die Ephrussi in Fontainebleau, im Palais Franz’ I. …« Drumonts Spott über die Geschwindigkeit, mit der diese Familie den Aufstieg von »Abenteurern ohne einen Pfennig in der Tasche« in die gute Gesellschaft geschafft hat, über ihre Versuche mit der Jagd, ihr jüngst angeschafftes Wappen, wird zu bösartigem Gegeifer, wenn er daran denkt, wie sein Erbteil von den Ephrussi und ihren Freunden besudelt wird.
Ich zwinge mich, diesen Schund zu lesen: Drumonts Bücher, seine Zeitung, die endlosen Pamphlete in zahllosen Auflagen, die englischen Versionen. Jemand hat in ein Buch über die Pariser Juden aus meiner Londoner Bibliothek Randbemerkungen eingetragen. Sorgfältig geschrieben und zustimmend steht da in Blockbuchstaben neben Ephrussi das Wort »käuflich«.
Es gibt massenhaft von diesem Zeug, das wild changiert zwischen abgeschmackten Binsenweisheiten und gehässigen Details. Die Familie Ephrussi taucht immer wieder auf. Es ist, als hätte man eine Vitrine aufgeschlossen, und man nähme jeden Einzelnen heraus und hielte ihn in die Höhe, um ihn dann niederzumachen. Über den französischen Antisemitismus wusste ich im Großen und Ganzen Bescheid, aber diese Besonderheit macht mich krank. Täglich wird ihr Leben auseinandergenommen.
Charles wird an den Pranger gestellt als jemand, »der in der Welt der Literatur und Kunst seine Machenschaften vollführt«. Er übe Macht in der
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