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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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Charles’ Judentum ihn verdächtig machte.
    Charles hatte zwei Gemälde von Gustave Moreau gekauft. Goncourt beschreibt dessen Arbeiten als die »Aquarelle eines poetischen Goldschmieds, die mit dem Glanz und Schimmer der Schätze aus Tausendundeiner Nacht übergossen zu sein scheinen«. Es waren üppige, symbolbefrachtete Malereien von Salome, Herkules, Sappho, Prometheus, im Stil der Parnassiens. Moreaus Sujets sind außer mit einem Hauch Gaze kaum bekleidet. Die Landschaften sind klassisch, voller verfallener Tempel, die Einzelheiten anspruchsvoll verrätselt. Das alles war sehr, sehr weit entfernt von windgepeitschten Wiesen, einer Flussströmung zwischen Eisschollen oder einer über ihre Arbeit gebeugten Näherin.
    Huysmans’ Skandalroman »Á rebours« (Gegen den Strich) hat zum Thema, wie es sich mit einem Bild von Moreau lebt. Oder, um genauer zu sein, in der Atmosphäre eines Moreau-Bildes. Sein Held Des Esseintes war dem dekadenten Grafen Robert de Montesquiou nachgebildet, einem Mann, der sich eine durch und durch ästhetisierte Existenz zum Ziel gesetzt und die Einrichtung seines Hauses so gestaltet hatte, dass er vollkommen in jeden Sinneseindruck eintauchen konnte. Der Clou war eine Schildkröte mit juwelenüberkrustetem Panzer; kroch sie langsam durch den Raum, steigerte sie die Farbwirkung eines Perserteppichs. Das beeindruckte Oscar Wilde, der in seinem Pariser Tagebuch auf Französisch notierte, »ein Freund Ephrussis hatte eine smaragdbesetzte Schildkröte. Auch ich brauche Smaragde, lebende Nippsachen …« Das war erheblich besser, als die Tür einer Vitrine aufzuschließen.
    In Des Esseintes’ morbidem Dasein gibt es einen Künstler, »der ihn zu großer Begeisterung hinriss - Gustave Moreau. Zwei seiner Meisterwerke befanden sich in seinem Besitz; und während der Nacht saß er oft träumend vor dem einen, dem Gemälde der Salome«; er ist so besessen von diesen intensiv aufgeladenen Bildern, dass er mit ihnen eins wird.
    Das kommt dem nahe, was Charles angesichts seiner zwei großen Bilder fühlte. Er schrieb an Moreau, dessen Werk habe die »Tönung eines idealen Traums« - ein idealer Traum ist einer, in dem man in einem Zustand schwereloser Entrückung versinkt und die Grenzen des Selbst sich auflösen.
    Renoir hingegen war äußerst aufgebracht. »Ah, dieser Gustave Moreau! Wenn man sich bloß vorstellt, so einer wird ernst genommen, ein Maler, der nicht einmal gelernt hat, einen Fuß ordentlich zu malen … der weiß, wie es geht. Es war schlau von ihm, die Juden reinzulegen, mit Goldtönungen zu malen … Sogar Ephrussi ist darauf hereingefallen, ich dachte wirklich, der hätte Verstand! Ich gehe ihn besuchen und wen sehe ich da? Gustave Moreau!«
    Ich stelle mir vor, wie Renoir die Marmorhalle betritt und über die geschwungene Treppe, vorbei an Ignaz’ Wohnung, zu Charles’ Räumen im zweiten Stock hinaufsteigt; wie man ihn einlässt und er Moreaus »Jason« vor sich sieht: Er steht nackt auf dem erlegten Drachen, reckt seinen zerbrochenen Speer und das Goldene Vlies in die Höhe. Medea hält das Fläschchen mit dem Zaubertrank und hat ihre Hand hingebungsvoll auf seine Schulter gelegt - ein »Traum, ein Aufleuchten der Verzauberung«, »die bizarren Archäologien Moreaus«, wie Laforgue es nannte.
    Oder vielleicht sah er sich »Galatee« gegenüber, gewidmet »meinem Freund Charles Ephrussi«, ein Bild, das Huysmans als eine Höhle beschreibt, »wie ein Tabernakel von kostbaren Steinen erleuchtet, sie birgt jenes unvergleichliche, strahlende Juwel, den weißen Körper, Brüste und Lippen rosenfarben getönt, die schlafende Galatea …« Hier leuchtet tatsächlich neben dem gelben Lehnstuhl eine Menge Gold: Galatea ist von einem Pseudo-Renaissance-Rahmen umschlossen, der eines Tizian würdig wäre.
    »Jüdische Kunst«, schreibt Renoir, verbittert, dass sein Gönner, der Herausgeber der Gazette, dieses Zeug im goüt Rothschild an der Wand hängen hat, juwelenhaft und mystisch, so nahe neben seinen Gemälden, dass es sie zu infizieren droht. Der Salon in der Rue de Monceau ist eine »Höhle« geworden, »wie ein Tabernakel«. Ein Raum, der Renoir verärgern, Huysmans inspirieren und sogar den sanguinischen Oscar Wilde beeindrucken konnte: »Pour ecrire il me faut de satin jaune«, schrieb er in sein Pariser Tagebuch; zum Schreiben brauche ich gelbe Seide.
    Mir fällt auf, dass ich Charles’ Geschmack zensurieren möchte. Gold und Moreau machen mir zu schaffen. Und noch mehr die

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