Der Hase mit den Bernsteinaugen
der Mitte der Beine, in der Mitte des Körpers durchgeschnitten, manchmal der Länge nach.« Betrachtet man das seltsame Porträt von Degas, »Graf Lepic und seine Töchter: Place de la Concorde« (heute in der Eremitage in St. Petersburg) - drei Figuren und ein Hund wandern durch eine seltsame Leere, welche die ganze Leinwand einnimmt -, dann scheint der Einfluss der flachen Perspektive japanischer Drucke offensichtlich.
Wie bei den immer wiederholten Themen der Netsuke kennen auch japanische Drucke die Serie - siebenundvierzig Ansichten eines berühmten Berges lassen die Möglichkeit erkennen, sich ihm auf verschiedene Arten immer wieder zu nähern und Bildelemente neu zu deuten. Heuhaufen, eine Flussbiegung, Pappeln, die schroff aufragende Fassade der Kathedrale von Rouen, in allen findet sich diese poetische Wiederkehr. Whistler, der Meister der »Variationen« und »Capricen«, erklärte: »Auf der Leinwand müssen die Farben sozusagen aufgestickt werden; das heißt, dieselbe Farbe muss in bestimmten Abständen wieder erscheinen, wie ein Faden in einer Stickerei.« Zola, ein früher Verfechter, schrieb über Manets Bilder: »Diese Kunst der Vereinfachung kann man mit jener japanischer Drucke vergleichen; sie ähneln ihnen in ihrer eigenartigen Eleganz und in den wundervollen Farbflecken.« Vereinfachung schien im Zentrum der neuen Ästhetik zu stehen, doch nur wenn sie mit »Fleckigkeit« zusammenfiel, mit einer abstrakten Behandlung der Farbe oder mit ihrer ständigen Wiederkehr.
Manchmal brauchte man bloß das Pariser Leben im Regen zu malen. Eine Flottille grauer Regenschirmflecken anstelle von Sonnenschirmen macht aus Paris eine Art Edo.
Wenn Charles - schön und präzise - über seine Freunde schreibt, dann versteht er, wie radikal sie in Technik und Sujetwahl sind. Es erinnert an die besten Besprechungen des Impressionismus.
»… um das Bild würdigen zu können, muss das Auge es also als Ganzes aufnehmen und aus der richtigen Entfernung darauf blicken; das ist das Ideal der neuen Schule. Sie hat ihren optischen Katechismus nicht gelernt, sie verachtet bildnerische Regeln und Vorschriften, sie gibt das, was sie sieht, wieder, wie sie es sieht, spontan, gut oder schlecht, kompromisslos, ohne Kommentar, ohne Wortreichtum. In ihrem Abscheu vor Plattitüden sucht sie frische Themen, sie durchstreift die Gänge der Theater, Cafés, Cabarets, sogar derbe Tingeltangel; das grelle Licht der billigen Tanzlokale schreckt sie nicht, und sie rudert in Asnieres und Argenteuil.«
Das war auch die Umgebung für Renoirs Bravourstück »Le Dejeuner des canotiers« (»Das Frühstück der Ruderer«). Es zeigt uns einen wohlig verruchten Nachmittag in der Maison Fournaise, einem der jüngst beliebt gewordenen Restaurants an der Seine, die Pariser Ausflügler mit dem Zug erreichen konnten. Durch silbergraue Weiden erkennt man Vergnügungsboote und ein Ruderboot. Ein rot-weiß gestreifter Baldachin schützt die Gesellschaft vor der gleißenden Sonne. Man hat gerade gegessen in dieser von Renoir geschaffenen neuen Welt der miteinander befreundeten Maler, Mäzene und Schauspielerinnen. Neben leeren Flaschen und den Resten des Mittagsmahls rauchen, trinken und unterhalten sich die Malermodelle. Hier gibt es keine Regeln und Vorschriften.
Die Schauspielerin Ellen Andree, eine Blume an den Hut gesteckt, hebt ein Glas an die Lippen. Baron Raoul Barbier, ehemals Bürgermeister des kolonialen Saigon, die braune Melone zurückgeschoben, unterhält sich mit der jungen Tochter des Besitzers. Ihr Bruder, im Strohhut des Berufsruderers, steht im Vordergrund und betrachtet das Essen. Caillebotte, entspannt und fit in weißem Unterhemd und Strohhut, sitzt rittlings verkehrt auf seinem Stuhl und mustert die junge Näherin Aline Charigot, Renoirs Geliebte und zukünftige Ehefrau. Der Maler Paul Lhote hat besitzergreifend einen Arm um die SchauspielerinJeanne Samary gelegt. Es ist eine Matrix aus lächelnder Unterhaltung und Liebeleien.
Auch Charles ist anwesend. Ganz im Hintergrund steht er, in Zylinder und schwarzem Anzug, ein wenig abgewandt, nur mit einem Seitenblick erfasst. Man erkennt gerade noch seinen rotbraunen Bart. Er unterhält sich mit Laforgue, sympathisch offenes Gesicht, schlecht rasiert, wie ein echter Poet in Arbeitermütze und Cordsamtjacke.
Ich bezweifle, dass Charles wirklich zu einem Bootsausflug im Sommersonnenschein seine benediktinische Kleidung trug, schwer und dunkel, einen Zylinder statt eines Strohhuts. Es
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