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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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Gastgeber meist schon gerne zu Bett gehen würden. Wegen einer längst vergessenen Kränkung nannte ihn der nebenan wohnende Ignaz »Proustaillon« - eine recht passende Bezeichnung für diese Schmetterlingsexistenz, die von einem gesellschaftlichen Anlass zum nächsten flatterte.
    Proust ist nun auch in den Räumen der Gazette in der Rue Favart eine fixe Größe. Hier ist er fleißig: vierundsechzig Kunstwerke, die später in den zwölf Romanen erwähnt sind, aus denen »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« besteht, wurden in der Gazette abgebildet, ein riesiger Teil der visuellen Textur des Werkes. Wie schon Laforgue hatte er Charles seine frühen Schriften über Kunst geschickt, zunächst harsche Kritik und dann einen ersten Auftrag geerntet. Für Proust sollte es eine Studie über Ruskin sein. Das Vorwort zu Prousts Übersetzung von Ruskins »Bibel von Amiens« trägt eine Widmung: »M. Charles Ephrussi, der stets so gut zu mir ist.«
    Charles und Louise sind immer noch ein Liebespaar, ich bin mir allerdings nicht sicher, ob Louise nicht noch einen oder mehrere weitere Liebhaber hat. Der diskrete Charles hat hier keine Spuren hinterlassen, und ich fühle mich frustriert, dass ich nichts Genaueres aufspüren kann. Ich notiere, dass Laforgue der Erste von mehreren weit jüngeren Männern war, die für ihn tätig waren, mehr Jünger als Sekretäre, und mache mir Gedanken über diese Reihe intensiver Beziehungen in seinen duftgeschwängerten, grottenartigen, von gelber Seide und den Moreaus schimmernden Räumen. In Paris ging der Klatsch, Charles sei entre deux lits, bisexuell.
    In diesem Frühjahr 1889 blüht und gedeiht Ephrussi et Cie, doch in der Familie herrscht Aufregung. Der stramm heterosexuelle Ignaz war ebenso wie andere schmachtende Junggesellen der Gräfin Potocka ergeben. Über diese faszinierende Gräfin heißt es bei Proust, man begreife, »daß sie äußerst verführerisch sein kann, mit ihrer antiken Schönheit, ihrer römischen Majestät, ihrer florentinischen Anmut, ihrer französischen Höflichkeit und ihrem Pariser Esprit«. Das schwarze Haar in der Mitte gescheitelt, hielt sie Hof unter einer Schar junger Männer, die Saphir-Anstecknadeln mit der Inschrift À la Vie, ä la Mort trugen. Sie gab »makkabäische« Diners, bei denen sie schworen, zu ihren Ehren Außergewöhnliches zu vollbringen. Da die Makkabäer judäische Märtyrer waren, muss sie wohl Judith verkörpert haben, fällt mir etwas spät auf, die Heldin, die dem betrunkenen Holofernes den Kopf abschlug. Nach einem Diner berichtet ein Brief an Maupassant, Ignaz sei ein wenig weiter gegangen als die anderen und habe die glorreiche Idee gehabt, splitternackt durch die Straßen von Paris zu schlendern; er wurde dann aufs Land expediert, um sich zu erholen.
    Der vierzigjährige Charles bewegte sich am Scheitelpunkt dieser unterschiedlichen Welten. Sein privater Geschmack war Allgemeingut geworden. Alles an ihm war ästhetisch. In Paris galt er als Schöngeist, seine Aufträge und Aussprüche wurden ebenso begutachtet wie der Schnitt seines Jacketts. Er war ein begeisterter Opernbesucher.
    Sogar seine Hündin hieß Carmen.
    Ich finde einen Brief an sie, c/o Monsieur C. Ephrussi, 81 Rue de Monceau, im Archiv des Louvre, er stammt von Puvis de Chavannes, dem symbolistischen Maler fahler Figuren und verwaschener Landschaften.
     
    Meine kleinen Benefizien
     
    Nicht nur Renoir mochte keine Juden. Eine Reihe von Finanzskandalen in den 1880er Jahren wurde den neuen jüdischen Finanzmagnaten zur Last gelegt, und die Familie Ephrussi war eine besondere Zielscheibe: »JüdischeMachenschaften« solltenhinterdemZusammenbruch der Union Generale 1882 stehen, einer katholischen Bank mit engen Verbindungen zur Kirche und vielen kleinen katholischen Einlegern. Der populäre Demagoge Edouard Drumont schrieb in »La France Juive«: »Die Unverfrorenheit, mit der diese Männer solche enormen Operationen durchführen, für sie bloße Züge in einem Spiel, ist unbeschreiblich. In einer Session kauft oder verkauft Michel Ephrussi Öl oder Weizen im Wert von zehn oder fünfzehn Millionen. Nicht der Rede wert; er sitzt zwei Stunden lang neben einer Säule in der Börse, strählt phlegmatisch seinen Bart mit der Linken und erteilt dreißig Höflingen, die mit gezücktem Stift um ihn herumstehen, seine Befehle.«
    Höflinge wispern Michel die Neuigkeiten vom Tag ins Ohr. Geld gilt diesen jüdischen Geldmenschen als Bagatelle, deutet Drumont an, es ist ein

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