Der Hauch Des Bösen: Roman
nickte anerkennend.
»Aber trotzdem, falls ihn die beiden wirklich kannten, muss er etwas an sich haben, das ihn freundlich oder zumindest ungefährlich wirken lässt.«
»Sie waren beide jung. Mit zwanzig bilden sich die meisten ein, dass ihnen nichts und niemand etwas anhaben kann.«
»Wir wissen, dass das ein Irrtum ist.« Er strich mit
einer Fingerspitze über ihr Kinngrübchen. »Aber trotzdem, glaube ich, hast du mal wieder Recht. Normalerweise ist man mit zwanzig unverwundbar. Ist das eventuell ebenfalls etwas, was er sich für sich wünscht? Hätte er neben jugendlicher Unschuld genauso gerne einen solch unbekümmerten Mut?«
»Offenbar wünscht er sich diese Eigenschaften so, dass er sie seinen Opfern bis zum Schluss nicht raubt. Er tut ihnen nicht weh, fügt ihnen keine Verletzungen zu, vergewaltigt sie nicht. Er hasst sie nicht für das, was sie repräsentieren. Er hält sie dafür in Ehren, stellt sie regelrecht auf ein Podest.«
Es tat unendlich gut, darüber zu sprechen, merkte sie. Genau das hatte sie gebraucht. »Er handelt aus Bewunderung und nicht aus Neid. Ich glaube, auf die ihm eigene, verdrehte, selbstsüchtige Art liebt er sie sogar. Und genau das macht ihn so gefährlich.«
»Wirst du mir die Fotos zeigen?«
Während sie noch zögerte, trat er vor den AutoChef und bestellte zwei Tassen Kaffee. Eigentlich sollte er jetzt auf dem Sofa sitzen und wie jeden Morgen erst die Berichte der Börse und dann die Frühnachrichten sehen. Und sie sollte auf die Wache fahren und sich für das morgendliche Briefing wappnen, überlegte sie.
»Sicher«, meinte sie stattdessen, setzte sich vor den Computer in der Sitzecke und rief dort die entsprechenden Dateien auf. »Ich hätte gerne Rührei und ansonsten das, was du zum Frühstück haben willst.«
»Eine geschickte Art, dafür zu sorgen, dass ich etwas esse.« Er gab die Bestellung auf, trat vor den Computer und sah sich die beiden von Eve aufgerufenen Fotos an. »Vom Typ her völlig verschieden, findest du
nicht auch? Aber zugleich verströmen sie die gleiche Art von... Vitalität.«
Er dachte an das Bild der Frau, von der er erst seit kurzem wusste, dass sie seine Mutter war. Sie sah darauf jung, vital, lebendig aus.
»Es sind Monster, die sich an solchen jungen Menschen vergreifen«, stellte er bitter fest. Selbst als Eve bereits das Haus verlassen hatte, gingen ihm die Bilder noch durch den Kopf. Sie verfolgten ihn auch dann noch, als er ins Erdgeschoss hinunterging, um sich mit seinem Butler zu versöhnen. Die Bilder von den beiden jungen Menschen, die er nie getroffen hatte, das Foto der eigenen Mutter, die eine Fremde für ihn war.
Und noch ein weiteres Porträt gesellte sich mit einem Mal zu der traurigen Galerie. Das Porträt Marlenas, eines liebreizenden jungen Mädchens, der Tochter Summersets. Sie war fast noch ein Kind gewesen, als die Monster sich an ihr vergriffen hatten, dachte Roarke.
Seinetwegen.
Seine Mutter und Marlena waren beide seinetwegen tot.
Als er durch die offene Tür der Wohnung seines Butlers trat, fuhr gerade die Pflegerin mit einem kleinen Scanner über dessen eingegipstes Bein.
Summerset hielt eine Tasse Kaffee in der Hand, verfolgte die Morgennachrichten und gab sich die größte Mühe, Schwester Spence zu ignorieren, die ihn - wie sie dachte - mit gut gelaunter Stimme unterhielt.
»Es wird zusehends besser«, zwitscherte sie fröhlich. »Für einen Mann in Ihrem Alter haben Sie außerordentliche
Fortschritte gemacht. Jetzt wird es nicht mehr lange dauern, und Sie kommen bestens wieder allein zurecht.«
»Madam, wenn Sie verschwinden würden, käme ich schon jetzt hervorragend allein zurecht.«
Sie schnalzte mit der Zunge. »Jetzt messen wir schnell noch Ihren Blutdruck und den Puls. Da Sie diesen rabenschwarzen Kaffee trinken, ist er sicher leicht erhöht. Sie wissen ganz genau, dass ein guter Kräutertee viel besser für Sie wäre.«
»Wenn Sie weiter derartigen Blödsinn reden, fange ich meinen Tag sinnvollerweise besser mit Wodka an. Meinen Blutdruck und den Puls kann ich sowieso selber messen.«
»O nein, das mache ich. Und ich möchte hoffen, dass es heute wegen Ihrer Vitaminspritze nicht schon wieder Ärger gibt.«
»Wenn Sie mit der Spritze in meine Nähe kommen, kriegen Sie sie von mir in eine Ihrer eigenen Körperöffnungen gesteckt.«
»Entschuldigung.« Obwohl er sich am liebsten unbemerkt davongeschlichen hätte, trat Roarke tapfer durch die Tür. »Tut mir leid, wenn ich störe. Ich
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