Der Hauch Des Bösen: Roman
Ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Es macht mich richtiggehend krank. Und ich habe mich gefragt, ob Sie es vielleicht wussten.«
»Ob ich es vielleicht wusste...?« Als das nächste Puzzleteil an seinen Platz fiel, atmete Summerset nachdenklich
aus. »Nein. Ich hatte keine Ahnung, dass es dieses Mädchen gab. Nach allem, was ich wusste, war Meg Roarke deine Mutter.«
Roarke nahm wieder Platz. »Ich habe nie in Frage gestellt, dass sie es war.«
»Weshalb hättest du das sollen?«
»Ich habe jeden noch so kleinen Angestellten meiner Unternehmen gründlicher unter die Lupe genommen als mich selbst. Ich habe meine eigene Herkunft nicht nur aus meinen Gedanken, sondern gleichzeitig aus sämtlichen Datenbanken entfernt. Habe meine eigene Vergangenheit so gut wie ausgelöscht.«
»Dadurch hast du dich geschützt.«
»Blödsinn«, fuhr Roarke Summerset gleichermaßen schuldbewusst wie zornig an. »Und wer hat sie beschützt?«
»Du warst damals noch ein Säugling!«
»Aber auch später habe ich sie nie gerächt. Ich bin ihr Fleisch und Blut! Jetzt ist es zu spät, um für Gerechtigkeit zu sorgen, denn der Bastard ist bereits seit Jahren tot. Bei Marlena habe ich zumindest...«
Er brach ab und atmete tief durch. »Marlena ist gestorben, weil man mir eine Lektion erteilen wollte. Sie haben mir deswegen niemals, nicht ein einziges Mal, irgendwelche Vorwürfe gemacht.«
Summerset ließ den Blick über die leuchtenden Hortensien, die blutroten Rosen und die kräftig pinkfarbenen Löwenmäulchen gleiten und dachte, dass Marlena, seine Tochter, sein geliebtes Kind, wie eine dieser Blumen gewesen war.
Strahlend, wunderschön, doch viel zu schnell verblüht.
»Weil ich dir keinen Vorwurf machen konnte. Und zwar weder für das, was meinem Mädchen, noch für das, was deiner Mutter widerfahren ist.« Summersets Blick kehrte zu ihm zurück. »Junge«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Du hattest daran niemals die geringste Schuld.«
»Aber zumindest in meiner Erinnerung bin ich auch nie wirklich unschuldig gewesen.« Mit einem leisen Seufzer knipste Roarke eine der Blüten ab und betrachtete sie nachdenklich. Dabei kam ihm der Gedanke, dass Eve bereits seit längerem keine Blumen mehr von ihm bekommen hatte. Dabei sollte ein Mann so etwas nie vergessen, vor allem nicht gegenüber einer Frau, die es nie erwartete.
»Sie hätten mir Vorwürfe machen können.« Da auch Summerset eine solche Geste nie erwarten würde, legte er ihm die Blüte in den Schoß. »Sie haben mich bei sich aufgenommen, nachdem er mich fast totgeprügelt hatte und ich nicht wusste, wohin. Das hätten Sie nicht machen müssen, denn wer oder was war ich damals schon für Sie?«
»Es hätte schon genügt, dass du ein Kind warst, aber dass du obendrein noch schwer misshandelt warst, hat das Fass für mich zum Überlaufen gebracht.«
»Sie«, Roarke bekam nur noch mit Mühe einen Ton heraus, »Sie haben sich um mich gekümmert, Sie haben mich erzogen. Sie haben mir etwas gegeben, das ich vorher niemals hatte und nie zu bekommen glaubte. Sie haben mir ein Heim gegeben und eine Familie. Und als man einen Teil dieser Familie zerstört hatte, als sie Marlena getötet haben, die Beste von uns dreien, hätten Sie mir deshalb Vorwürfe machen können.
Sie hätten jedes Recht gehabt, mich vor die Tür zu setzen. Doch das haben Sie nicht getan.«
»Bis dahin warst du längst ein Teil von mir - oder etwa nicht?«
»Gott.« Er atmete tief durch. »Ich schätze, ja.«
Da er seine Rührung verbergen musste, stand Roarke hastig auf, stopfte die Hände in die Hosentaschen und fixierte so lange einen kleinen Brunnen, der gurgelnd kühles Wasser über ein Beet aus wild wuchernden Lilien ergoss, bis er sich wieder gefangen hatte.
»Als ich beschloss, nach Amerika zu gehen; als ich mir hier ein Zuhause schaffen wollte und Sie gebeten habe, mich zu begleiten, haben Sie das getan. Sie haben das Zuhause, das Sie sich geschaffen hatten, in Irland zurückgelassen, damit ich mir hier ein eigenes Zuhause schaffen konnte. Ich glaube, ich habe Ihnen nie gesagt, dass ich Ihnen dafür unendlich dankbar bin.«
»Das hast du, und zwar viele Male und auf jede erdenkliche Art.« Summerset legte seine Hände um die blaue Blume und nahm den Frieden und die Schönheit des Gartens in sich auf.
Die Welt innerhalb der Welt, die von dem Jungen, dessen Wandel zum Mann er hatte miterleben dürfen, geschaffen worden war. Jetzt war diese Welt erschüttert, und er musste dafür
Weitere Kostenlose Bücher