Der Hauch Des Bösen: Roman
weshalb Menschen einander ermorden. Weshalb sollte man sie töten, wenn man sie problemlos ignorieren kann?«
Sie beugte sich ebenfalls ein Stück über den Tisch. »Was ist mit dem Licht? Haben Sie dieses Licht nicht vielleicht für sich selber haben wollen? Oder die Jugend, die Unschuld, die Brillanz dieser beiden jungen Menschen für alle Zeit bewahren wollen? Haben Sie sie vielleicht dadurch, dass Sie sie in diesen letzten Posen aufgenommen haben, für alle Zeit zu einem Teil von sich gemacht?«
Er starrte sie entgeistert an. »Das ist ja wohl ein Witz. Wie kommen Sie denn bloß auf einen derartigen Blödsinn? Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche Voodoofilme gesehen?«
Trotz des Grauens des von ihr geschilderten Szenarios stieß sie ein kurzes Lachen aus. »Ich mag Sie, Hastings, selbst wenn ich mir nicht sicher bin, was das über mich sagt. Trotzdem werden wir uns noch mal Ihre Bilddateien ansehen, um zu gucken, ob wir die Fotos finden, die Sie von Kenby Sulu aufgenommen haben.«
»Warum ziehen Sie nicht mit Ihrer ganzen netten Familie samt dem Schoßhund bei mir ein?«
»Ich habe eine Katze. In ungefähr zwanzig Minuten werden Sie an den Lügendetektor angeschlossen. Ein Beamter wird Sie in ein Wartezimmer führen, wo man Sie abholen wird.«
»Das war’s?«
»Fürs Erste, ja. Haben Sie noch irgendwelche Fragen oder gibt es irgendwas, was Sie noch sagen möchten, solange der Rekorder läuft?«
»Ja, ich habe eine Frage. Die Eine-Million-Dollar-Frage, Dallas. Muss ich mich fragen, wer das nächste Opfer werden wird? Muss ich mich fragen, wen ich noch aufgenommen habe, der bald sterben wird?«
»Darauf kann ich Ihnen leider keine Antwort geben. Die Vernehmung ist beendet.«
»Sie glauben ihm.« Peabody stieg neben Eve in deren Wagen. »Obwohl er noch gar nicht an den Lügendetektor angeschlossen war.«
»Ich glaube ihm tatsächlich. Er hat irgendeine Verbindung
zu den Fällen, aber er hat nicht direkt etwas damit zu tun. Und ich bin der festen Überzeugung, dass er das Gesicht des nächsten Opfers kennt. Er wird es erkennen, wenn es so weit ist.« Das würde ihn etwas kosten, überlegte sie. Und es hatte ihn bereits sehr viel gekostet, das hatte sie seiner hässlichen Visage deutlich angesehen.
»Der Killer ist jemand, den er kennt, oder zumindest jemand, der ihn und seine Arbeit kennt. Jemand, der seine Arbeit bewundert, ihn um sein Talent beneidet... oder vielleicht denkt, dass seine Arbeit besser ist.«
Während sie aus der Garage auf die Straße bog, ging sie in Gedanken diese Möglichkeiten durch. »Jemand, der nicht den gleichen kommerziellen oder künstlerischen Erfolg wie Hastings hat.«
»Ein Konkurrent.«
»Vielleicht. Oder vielleicht ist es jemand, der sich für einen echten Künstler hält und sich deshalb zu schade für irgendwelche kommerziellen Shootings ist. Statt die Bilder nämlich einfach zu behalten, schickt er sie an die Medien. Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er Anerkennung will.«
Sie dachte an Ausschnitte des Textes, den der Killer Nadine gesendet hatte.
Was für ein Licht! Was für ein starkes Licht. Es hüllt mich ein. Es nährt mich. Er war brillant, dieser clevere junge Mann mit der Statur des Tänzers und der Seele des Künstlers. Jetzt ist er in mir. Was er war, lebt ewig in mir fort .
Wieder ging es erst um Licht, überlegte sie, und dann um Schatten.
In ihnen werden keine Schatten sein. Keine Schatten, um das Licht zu trüben, das in ihnen strahlt. Das ist mein Geschenk an sie, im Tausch für ihr Geschenk an mich. Und wenn es vorbei, wenn mein Werk vollendet ist, wird dies unser Geschenk an die gesamte Menschheit sein.
»Die Welt soll wissen, was er tut. Er sieht sich als Künstler«, fuhr Eve nachdenklich fort. »Hastings oder zumindest Hastings’ Arbeit ist für ihn dabei das Sprungbrett. Also werden wir jeden befragen, der im Verlauf des letzten Jahres für Hastings oder mit ihm zusammengearbeitet hat.«
Peabody zog ihr elektronisches Notizbuch aus der Tasche und rief dort eine ellenlange Liste auf. »Das wird eine Weile dauern. Es war eindeutig kein Scherz, als der Typ behauptet hat, er hätte einen größeren Verschleiß an Assistenten als an Klopapier. Und dann kommen noch die Angestellten aus dem Laden, die Models, die Stylisten und alle anderen dazu. Fangen wir oben auf der Liste an?«
»Ja, am besten. Aber vorher fahren wir noch mal in das Internetlokal. Die E-Mails an Nadine wurden beide von dort abgeschickt. Es
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