Der Hauch Des Bösen: Roman
cremefarben und fleckenlos. Eve hatte keine Ahnung, wie jemand etwas derart Helles in New York und dazu noch hier auf der Wache tragen konnte, ohne dass es innerhalb von einer Stunde einen Grauschleier bekam. Ihr dichtes sandfarbenes Haar lag locker und weich um ihr Gesicht, und sie trug eine Perlenkette um den Hals.
Sie war eine der besten Profilerinnen der gesamten USA und trug nicht nur Perlen bei der Arbeit, sondern duftete dazu schwach nach frischen Blumen - ähnlich wie der Tee, den sie so gerne trank.
In ihren ordentlichen, femininen Pumps stieg sie auf das nächste Gleitband um.
»Reizbar«, fuhr die Psychologin fort. »Streitsüchtig, jähzornig, amüsant. Und auf brutale Weise ehrlich.«
»Dann ist er also aus dem Schneider?«
»Meiner - und wie ich annehme auch Ihrer - Meinung nach hat er mit den Morden nichts zu tun.«
»Ich könnte mir vorstellen, dass er im Zorn mal irgendwen von einem Dach schmeißt, aber er wirkt auf mich nicht unbedingt wie jemand, der sich hinsetzt und einen Mord nicht nur kaltblütig plant, sondern ebenso kaltblütig begeht.«
»Nein, so jemand ist er nicht. Er könnte eine Frustrationstherapie vertragen. Allerdings wäre das bei ihm vermutlich vergebliche Liebesmüh. Ich habe ihn von Anfang an gemocht.«
»Ich auch.«
»Ihr Killer hat eine ähnliche Arroganz wie Hastings,
aber ihm fehlen dessen Selbstvertrauen und Spontanität. Und während Hastings mehr als zufrieden damit ist, allein zu sein, ist der Killer einsam. Er braucht seine Bilder nicht nur, weil er sie als Kunstwerke betrachtet, sondern auch oder vor allem, weil sie so etwas wie Gesellschaft für ihn sind.«
»Die Leute auf den Bildern leisten ihm Gesellschaft?«
»In gewisser Weise ja. Dadurch, dass er ihre Jugend, ihre Energie, das, was sie sind, die Menschen, die sie kennen, ihre Freunde und Familien absorbiert, übernimmt er ihre Lebenskraft.«
»Er misshandelt seine Opfer nicht. Es ist alles sehr ordentlich und sauber. Er zeigt nicht den geringsten Zorn, denn er betrachtet sie offenbar als, wenn vielleicht auch erst zukünftigen, Teil von sich.«
»Richtig.«
»Er erhält ihr Bildnis, zeigt sie in dem bestmöglichen Licht. Macht sie extra hübsch und baut sie in schmeichelhaften Posen vor der Kamera auf. Auf der einen Seite will er damit wohl zeigen, dass er ein talentierter Künstler ist, auf der anderen Seite scheint es gleichzeitig private Eitelkeit zu sein. Nach dem Motto: ›Wir sind jetzt eins, und ich möchte möglichst gut aussehen.‹«
»Interessant. Ja, das wäre durchaus möglich. Er ist ein komplizierter Mensch, der anscheinend ehrlich glaubt, nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zu haben, diese Taten zu begehen. Aber er ist nicht selbstlos. Er ist auf einer heiligen Mission. Er will Anerkennung haben. Vielleicht ist er ein bisher enttäuschter Künstler, vielleicht hat er das Gefühl, dass sein
Talent bisher nicht genug gewürdigt worden ist. Von Hastings oder jemandem, den Hastings ihm vorgezogen hat. Falls er, wie es aussieht, die ursprünglichen Aufnahmen der Opfer Hastings’ Bilddateien entnommen hat, ist womöglich ein Teil seines Motivs, dass er besser sein will als sein Konkurrent.«
»Oder als sein Mentor.«
Dr. Mira zog die Brauen hoch, während sie neben Eve in die Garage lief. »Ich kann mir Hastings nicht als Mentor vorstellen.«
»Er sich bestimmt auch nicht. Doch möglicherweise hat der Killer ihn ja als solchen angesehen.«
»Wenn Sie wollen, gehe ich der Sache noch weiter nach. Allerdings bräuchte ich, um mir ein genaueres Bild machen zu können, Ihren ausführlichen Bericht.«
»Ich werde dafür sorgen, dass Sie ihn bekommen. Danke.« Um noch etwas Zeit zu schinden, begleitete sie Dr. Mira bis zu deren Wagen. Dr. Mira, Sie sind inzwischen ziemlich lange verheiratet...«
Sie hatten sich weit angenähert, dachte Dr. Mira, wenn Eve, ohne dass sie sie bedrängte, von selbst auf etwas so Persönliches zu sprechen kam. »Allerdings. Nächsten Monat werden es zweiunddreißig Jahre.«
»Zweiunddreißig! Jahre!«
Mira lachte fröhlich auf. »Länger als Sie bisher auf der Welt sind.«
»Ich schätze, dass es in Ihrer Ehe nicht nur Höhen, sondern auch gewisse Tiefen gab.«
»Ja, natürlich. Für schwache oder faule Menschen ist die Ehe nichts. Sie ist echte Arbeit, und so sollte es auch sein. Was hätte sie sonst für einen Zweck?«
»Arbeit macht mir nichts aus.« Zumindest, dachte Eve, während sie die Hände in die Hosentaschen stopfte, wenn sich ein
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