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Der Hauch von Skandal (German Edition)

Der Hauch von Skandal (German Edition)

Titel: Der Hauch von Skandal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Cornick
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Purchase mit dem Schiff nicht bis hierhin kommen konnte“, sagte Alex und riss sie aus ihren unglücklichen Gedanken. Sie trabten über den Kiesstrand auf Bellsund zu. Der Karren mit Lottie und dem Gepäck holperte hinter ihnen her, und Lotties lautstarkes Jammern vermischte sich mit dem Geschrei der Seevögel. „Wenn der Wind aus Osten kommt, bläst er das Eis in die Bucht, wo es sich auftürmt und die Weiterfahrt blockiert.“
    Joanna hielt einen Moment lang an und war froh über die Ablenkung. Riesige Eisbrocken türmten sich in der Bucht, wie von Riesenhand dort hineingeschleudert. So etwas hatte Joanna noch nie gesehen, nicht einmal in den strengsten englischen Wintern, wenn die Flüsse zufroren. Es war leicht zu erkennen, wie ein Schiff von diesem Eis zermalmt werden konnte; die Eisplatten knackten und knarrten unter dem gewaltigen Druck. Sie erschauerte. „Genau das wäre mit uns passiert, wenn du die Sea Witch nicht aus dem Eis befreit hättest, nicht wahr?“, vermutete sie. „Wir wären vom Eis eingeschlossen und zerquetscht worden.“
    „Entweder das, oder das Schiff wäre an den Felsen zerschmettert worden“, bestätigte Alex. „Diese Gewässer sind sehr gefährlich. Die Naturgewalten hier sind unvorstellbar.“
    Joanna nickte. „Wann wird das Eis verschwinden?“
    „Das kann jederzeit passieren. In den Sommermonaten bewegt oder verändert sich das Eis manchmal innerhalb von Stunden, du hast es selbst erlebt. Wenn der Wind dreht, treibt die Strömung das Eis wieder fort. Übrigens kann man jetzt schon das Kloster Bellsund sehen“, fügte er hinzu. „Dort drüben, auf dem Felsvorsprung.“
    Joanna drehte sich im Sattel um. „Es sieht eher wie eine Festung aus, nicht wie ein Kloster“, flüsterte sie. „So hatte ich es mir nicht vorgestellt.“
    Die lang gestreckte Klosteranlage hatte graue Mauern aus gewaltigen Steinquadern, die mindestens zehn Meter hoch und drei Meter dick zu sein schienen. Es gab niedrige runde Türme mit spitzen Kuppeln, gewaltige Tore, und hinter den Mauern erhoben sich weitere Dächer und Turmspitzen. Auf eine so große Ansiedlung in einer solch leeren, trostlosen Landschaft zu stoßen, war atemberaubend und außergewöhnlich, und doch schienen die dunklen, abweisenden Mauern wie natürlicher Fels aus dem Boden gewachsen zu sein.
    Joanna fröstelte. Jetzt, fast am Ziel ihrer Reise, fühlte sie sich schlecht und verängstigt, erschöpft und voller Sehnsucht, Nina endlich sehen und Davids Tochter zu sich nehmen zu können. Sie setzte sich im Sattel auf und merkte, dass Alex sie beobachtete.
    „Geht es dir gut?“ Seine Stimme klang sanft. Er legte eine Hand auf ihre. „Du weißt, du musst das nicht tun. Ich kann an deiner Stelle gehen und …“
    „Ich danke dir“, wehrte Joanna ab. „Aber ich muss es selbst tun.“ Sie trieb ihr Pferd zu einem schnellen Galopp an; plötzlich hatte sie es eilig, ans Ziel zu gelangen. Eine Sekunde später hörte sie, dass Alex ihr folgte, und die Pferde jagten den Strand entlang auf die Klostertore zu. Der Karren und die anderen Reiter blieben weit zurück.
    Die Torflügel schwangen auf und gaben den Blick frei auf einen gepflasterten, von Gebäuden umstandenen Innenhof. Schon eilte ein Stallbursche herbei, um ihnen die Pferde abzunehmen. Alex sprang aus dem Sattel und half Joanna beim Absitzen. Plötzlich merkte sie, wie steif und müde sie war, und klammerte sich dankbar für seinen Halt einen Moment lang an Alex, bis sie die Kraft aufbrachte, allein auf eigenen Beinen zu stehen.
    Alex sprach Russisch mit einem jungen Mönch, der aus dem Pförtnerhaus gekommen war, um sie zu begrüßen. Joanna stand daneben und fühlte sich klein und demütig. Jetzt verstand sie, wie sehr Alex ihr den Weg bis hierher geebnet hatte. Er hatte sie sicher durch dieses leere, fremdartige Land geleitet, sie beschützt, und nun verhandelte er mit den Mönchen. Trotz Merryns Unterricht sprach sie nur sehr wenig Russisch. In ihrem gefühlsmäßigen Aufruhr über Davids Vermächtnis hatte sie so viele Dinge übersehen – Dinge, die Alex ihr dann einfach abgenommen hatte. Einen Moment lang war ihr die Kehle wie zugeschnürt, als Joanna begriff, wie viel sie ihm verdankte.
    „Sie bringen uns zu Vater Starostin“, übersetzte Alex gerade. „Er ist der Archimandrit, also der Vorsteher dieses Klosters. Er ist ein großer Mann und ein großer Gelehrter. Ich glaube, er lebt schon seit fast vierzig Jahren hier in Bellsund.“
    Joanna nickte. „Vielen Dank.“

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