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Der Hausflug

Titel: Der Hausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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verballhornt.“
    „Wenn man was?“
    „Den Namen verdreht: Jonas, Po-naß oder Käsemann statt Breesemann.“
    „Vielleicht weiß ich einfach zu wenig über Häuser, um es zu verstehen“, meinte Villa. „Ich habe zum Beispiel keine Ahnung, was ein Haussichtsturm ist.“
    „Aussichtsturm“, korrigierte Jonas. „Was ein Turm ist, weiß du doch, oder?“
    „Nein, erkläre es mir.“
    Es stellte sich heraus, daß Villa herzlich wenig über Häuser wußte, nicht wußte, was ein Blockhaus oder ein Wochenendhaus war, ein Bankhaus oder ein Reihenhaus, nicht den Unterschied zwischen Vorderhaus und Hinterhaus kannte, nicht einmal Bahnhof, Theater, Gefängnis, Schloß – das Luftschloß mußte Jonas dreimal erklären, und was ein Kartenhaus war, kapierte Villa überhaupt nicht. Ein paarmal seufzte Jonas verzweifelt; jetzt konnte er nachfühlen, was Lehrer empfinden mußten, wenn ihre Schüler sich begriffsstutzig anstellten. Als er von Hexenhaus und Schlachthaus sprach, meinte Villa, er habe sich das ausgedacht.
    „Du willst mir doch nicht ernsthaft erklären, daß ihr Menschen Tiere schlachtet und aufeßt.“
    „Mußt du ja nicht“, sagte Jonas beleidigt. „Wenn du mir nicht glaubst, kann ich ja aufhören.“
    „Nein, sprich weiter. Bitte.“
    Villa konnte gar nicht genug hören. Jonas ging schließlich ins Wohnzimmer. Dort hatte er ein Lexikon gesehen. Es war nur der zweite von zwanzig Bänden „Praktisches Wissen von A-Z“, und bestimmt stand das Buch hier, weil es viele Seiten über Bäume und Blumen enthielt, doch zwischen Babypflege und Byzanz fand Jonas auch ein langes, reich illustriertes Kapitel „Bauten und Bauwesen“, und beim Vorlesen erfuhr nicht nur Villa Neues.
    Von den Iglus der Eskimos las Jonas vor, die ihre Häuser aus Schneequadern bauen, und den gewaltigen Pyramiden, den jahrtausendealten Königsgräbern in Ägypten, von Mongolenjurten und den Baumhütten der Ureinwohner Australiens, die immer noch in der Steinzeit leben – was Steinzeit ist, wollte Villa ganz genau erklärt haben, zum Glück hatten sie das in der Schule durchgenommen –, den Wolkenkratzern in Amerika, den Indianer-Pueblos, die Haus auf Haus an Felswänden stehen und die Türen in den Dächern haben, den spanischen Cuevas, in denen die Menschen unter der Erde leben, weil man für jedes Dach hohe Steuern bezahlen mußte, von den Sampan-Städten in Asien, riesigen Ansammlungen meist primitiver Boote und den schmutzigen Elendsvierteln aus Wellblechbaracken und Kistenholzhütten am Rande vieler Millionenstädte; die berühmtesten Schlösser der Erde waren abgebildet, der Dogenpalast in Venedig und der Kreml in Moskau, das Schloß der französischen Könige in Versailles und Schloß Sanssouci bei Potsdam…; immer wieder bat Villa, Jonas solle das Buch einen Augenblick still auf dem Schoß halten, sie wollte sich die Bilder genau ansehen.
    Die Zeit verging – wie im Fluge, dachte Jonas. Manche Redensarten sind geradezu unheimlich richtig. Schon kam die Küste in Sicht. Er ging schnell in die Toilette, um noch über See zu pullern.
    „Wie machen das eigentlich die anderen?“ fragte er. „Kacken die den Leuten einfach auf die Köpfe?“
    „Welche anderen?“
    „Nun, wer sonst mit dir fliegt – wer ist das eigentlich?“
    „Das erkläre ich dir später“, sagte Villa. „Ich muß mich jetzt konzentrieren, wir sind im Landeanflug.“
    Jonas war erleichtert, als er erkannte, daß sie haargenau die Route zurückkamen, auf der sie fortgeflogen waren. Villa sank so schnell, daß es Jonas flau im Magen wurde. Vor Landsburg befanden sie sich nur noch wenige hundert Meter über dem Erdboden.
    „Siehst du den Sportplatz?“ fragte Jonas. „Da kannst du landen, dort steht eine Telefonzelle.“
    Er wollte Oma anrufen. Er mußte unbedingt ein paar Tage Zeit gewinnen, um mit Villa umherzufliegen. Hoffentlich waren Bräuers da, Omas Nachbarn; sie hatte ja kein Telefon. Jetzt war Jonas froh darüber, so bestand kaum Gefahr, daß Vater sich nach ihm erkundigte. Vater würde wie verabredet am Karfreitag kommen. Zu Weihnachten und Silvester, Ostern und Pfingsten fuhren sie nach Hunsbrück, damit Oma an den Feiertagen nicht allein war. Und all die übrigen Tage?
    Jonas hatte einmal gefragt, warum Oma nicht zu ihnen zog. Jetzt, da sie beide allein waren, hatten sie doch genug Platz, und bestimmt hätten sie es dann leichter im Haushalt. Vater hatte ihn merkwürdig angesehen und den Kopf geschüttelt. Das würde nicht gut gehen, hatte

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