Der Hausflug
entsetzlichen Vorsingen vor der ganzen Klasse. „Vom Himmel hoch, da komm ich her“, sang er und „Kommt ein Jonas geflogen, setzt sich nieder mit seinem Haus“, und dann „Morgen, Villa, wird’s was geben, morgen werden wir uns freun. Welch ein Jubel, welch ein Leben wird in unsrem Hause sein. Einmal werden wir noch wach, dann ist wieder Fliegertag: Afrika, Afrika; Affen, sperrt die Mäuler auf, Jonas kommt geflogen!“ Er fühlte sich unsagbar fröhlich, so leicht und beschwingt. Er war angetrunken, er wußte es nur nicht. Ja, dachte er, so kann man es aushalten – haushalten. Ein hausgezeichneter Hausflug! Er lachte laut.
„Worüber lachst du?“ erkundigte sich Villa.
„Ich habe soeben die Hauswörter erfunden“, erklärte Jonas. „Ist das nicht komisch: Ich mache eine Hauslandsreise. Ohne Hausweis! Ich sitze hier am Hausguck und habe einen hausgezeichneten Hausblick. Ich finde, Hauswörter haben eine haußerordentliche Hausdruckskraft, oder?“ Villa antwortete nicht.
„Das hat dir wohl die Haussprache verschlagen“, meine Jonas. „Findest du keine Hausrede mehr?“
Wie die Wörter ihren Sinn veränderten, wenn er ein H davorstellte: hauswendig, hausgeschlossen, hausgebeult. Jonas kicherte. Hausflucht! Oder hausweglos, Hausgehverbot, hauskneifen…
„Soll ich mal hauskneifen?“ schrie er übermütig. „Oder haustreten, hausquetschen, hauspeitschen, hausfressen?“ Man mußte sich das mal bildlich vorstellen: hausfressen. Oder hausbaden.
„Willst du mal hausbaden, Villa?“ grölte er. „Paß auf, wenn wir landen, bringe ich ein Haushängeschild an deinem Hausgang an, mit vielen Hausrufezeichen. Und du hältst Hausschau, daß uns nicht hausversehen jemand hausfindig macht – ist das nicht zum Totlachen?“
„Ja, sicher“, sagte Villa.
„Warum lachst du dann nicht?“
„Vielleicht kann ich nicht lachen.“
„Ich kann mir noch viele Hauswörter hausdenken“, sagte Jonas, dann stockte er. Konnte Villa denken? Klar, wer sprechen kann, kann auch denken. Wie aber denkt ein Haus – wie ein Computer? Vater und Sabines Mutter hatten sich vor einer Weile gestritten, ob Computer denken können. Frau Merkel hatte behauptet, Elektronengehirne seien mehr als nur besonders große Rechenmaschinen. Selbstverständlich könnten sie denken, und bestimmt würden sie auch träumen, man sei nur noch nicht dahintergekommen, wie und was.
„Kannst du träumen?“ fragte Jonas.
„Klar, kann ich.“
„Und was träumst du so? Erzähl mir sofort, was du träumst, oder ich muß dich hauszanken!“
„Sag mal, ist alles in Ordnung bei dir?“ erkundigte sich Villa besorgt.
„Ja, warum?“
„Du redest so komisch.“
„Ich fühle mich hausgezeichnet“, erklärte Jonas. „Ich könnte Bäume hausreißen, nein, die Sterne vom Himmel holen – wollen wir, Villa?“
„Vielleicht war ein Rauschgift in der Flasche?“
„Nein, nur Bier.“
Deshalb war er jetzt so müde! Vater trank Bier auch, um leichter einschlafen zu können. Jonas erhob sich mühsam, torkelte, die Knie knickten ein, er mußte sich am Küchenschrank festhalten; mit Müh und Not schaffte er die paar Schritte ins Schlafzimmer, und kaum lag er auf dem Bett, da war er bereits eingeschlafen.
Er erwachte mit Kopfschmerzen. War das der „Kater“, von dem Vater gesprochen hatte? Bestimmt hatte er auch von dem Bier so merkwürdige Träume gehabt, wieder das seltsame grüngeschuppte Tier mit den Krallenfingern und den Stielaugen gesehen – Jonas versuchte, sich zu erinnern, doch da waren die Träume schon versunken.
Er richtete sich auf und erschrak. Vor dem Fenster war es bereits dunkel, der Himmel schwarz und voller Sterne.
„Verdammt, Villa!“ schrie er. „Es ist ja schon Nacht.“
„Immer mit der Ruhe“, antwortete Villa.
„Du hast gut reden“, jammerte Jonas. „Auf dich wartet ja niemand. Oma wird Vater längst angerufen haben.“
„Keine Angst. Wir fliegen sehr hoch, deshalb sieht der Himmel schwarz aus. Ich bin so weit wie möglich aufgestiegen, da kann ich mit Höchstgeschwindigkeit fliegen.“
Erleichtert setzte sich Jonas an den Küchentisch. Er hatte unheimlichen Durst, doch Bier trank er nicht wieder: Wasser mit ganz, ganz wenig Sirup.
„Geht es dir besser?“ erkundigte sich Villa. „Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht, du hast vorhin so merkwürdig geredet.“
„Du fandest das mit den Hauswörtern wohl ziemlich albern, was? Na ja, ich kann es auch nicht leiden, wenn man meinen Namen
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