Der Hausflug
nächsten Morgen lauerte ich Simmons auf. Ich wollte ihm zeigen, was ich aufgeschrieben hatte, und die Geschichte mit seiner Unterschrift beglaubigen lassen. Simmons war mürrisch, sagte, er habe keine Zeit, und als ich meine Seiten herauszog, verzog er das Gesicht zu einem breiten Grinsen.
„Sie haben das doch wohl nicht geglaubt!“ sagte er höhnisch, und als ich nickte, lachte er so schallend, daß alle Leute in der Hotelhalle zu uns herüberblickten.
„Passen Sie auf, mein Bester“, sagte er. „Diesen Bären da haben Barny und ich uns mal bei einem Besäufnis ausgedacht, und den binden wir jetzt jedem Neugierigen auf die Nase, der dumm genug ist zuzuhören. Das ist die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Das würde ich vor jedem Gericht der Welt beschwören.“
Das sechste
Feuer und Wasser
Jonas trinkt Bier und erfindet die Hauswörter Drei Tage Zeitgewinn
„Land in Sicht.“
Jonas schreckte hoch, stürzte ans Fenster, suchte die gleißende Wasserfläche ab.
Da lag es: ein dunkler, welliger Streifen rechts am Horizont.
„Das muß Island sein“, rief er.
„Und wo liegt deine Insel?“
Ja, wo? Jonas versuchte, sich zu erinnern. Westlich von Island? Nein, südwestlich hatte der Sprecher im Fernsehen gesagt. Villa schwankte schon nach links, als hätte sie seine Gedanken erraten. Wenig später näherten sie sich einer Wolke, die vom Meer in den Himmel stieg, eine schmutzig grüngelbgraue, schräg geneigte, nach oben immer breiter werdende Wolke. Eine Dampfsäule. Dämpfe aus dem Bauch der Erde.
Genau so hatte Jonas gestern am Bildschirm den Anflug auf die Insel erlebt, die mitten im Meer wuchs und wuchs. Flüssiges Gestein aus dem Innern des Planeten, hatte der Sprecher erklärt, ein Vulkan, der unaufhörlich Feuer, Dämpfe und glühende Lava ausspuckte, Tausende von Grad heiß.
Der Vulkan stottert ja, dachte Jonas. Nein, es sah aus, als ob er atmete. Beim Ausatmen stieß er den schmutzigen Dampf aus, dann schien er ein paar Sekunden die Luft anzuhalten. Jonas blickte zur Uhr, stoppte die Zeit. Dreiundzwanzig Sekunden. Dann wieder zwölf Sekunden Rauchspucken. Ein fester Rhythmus, auf die Zehntelsekunde genau.
Sobald sich der Rauch über dem Krater verzogen hatte, war in dem kreisrunden Loch die höllische Glut zu sehen, ein unbeschreiblich leuchtendes Rot, das über den Rand quoll, über die neugeborene Insel kroch, feurige Zungen, die immer dunkler wurden, schwarzrot mit glühenden Rissen, und wo sie das Wasser erreichten, brodelte und kochte das Meer.
„Hast du genug gesehen?“ fragte Villa.
Genug? Jonas hätte stundenlang zusehen können. Das war ein einmaliges, schaurigschönes Schauspiel, viel aufregender noch als gestern im Fernsehen. Wirklich zu dumm, daß er den Fotoapparat nicht bei sich hatte.
Die Aufnahmen wären sicher nicht scharf geworden, dachte er. Die Luft flirrte vor Hitze. Jonas wunderte sich, daß er die Hitze nicht spürte, auch nicht den Schwefelgestank, von dem der Sprecher berichtet hatte. Dabei waren sie viel näher an dem Vulkan als die Fernsehleute in ihrem Hubschrauber, das sah er doch. Er bat Villa, die Insel noch einmal zu umkreisen.
„Gut, aber dann müssen wir zurück. Du mußt zurück. Ich hätte ja Zeit.“
Du mußt dir unbedingt etwas einfallen lassen, wie du morgen gleich früh bei Oma abhauen kannst, dachte Jonas. Er öffnete eine Flasche Bier. So machte Vater es, wenn sie ein Problem lösen mußten. Ein Schluck Bier, so sagte er, bringt immer einen guten Gedanken. Jonas lehnte sich entspannt zurück und blickte in den Himmel. Ja, diese Reise hatte sich gelohnt. Ein phantastischer Ausflug. Phantastisch im doppelten Sinn des Wortes, unheimlich schön und unglaublich: ein Hausflug. Er pfiff vor sich hin, hielt erschrocken inne.
„Stört dich das Pfeifen, Villa?“
„Nein, du kannst pfeifen, summen und singen, soviel du willst. Es stört mich nicht, im Gegenteil, ich höre es gern. Sing mir doch ein paar Lieder.“
„Ach, ich weiß immer die Texte nicht“, flunkerte Jonas. Singen war seine schwache Seite. Jonas liebte zwar Musik, die Sonntagsstunden, in denen er mit Vater Schallplatten hörte, zählten zu den schönsten der Woche, doch er konnte keine Melodie richtig halten, nicht einmal „Alle meine Entchen“. Nur, daß er immer die Texte lernte und die Noten beherrschte, rettete ihn vor einer Fünf in Musik.
Dann sang er doch. Laut und falsch. Hier hörte ihn ja niemand. Keiner würde ihn auslachen, wie bei dem
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