Der Heckenritter von Westeros
Das Horn ertönte.
Ser Umfried setzte sich langsam in Bewegung und wurde nur allmählich schneller, wohingegen sein Kontrahent dem rotbraunen Streitross beide Sporen in die Flanken rammte und in gestrecktem Galopp heranbrauste. Ei kniff wieder die Beine zusammen. »Töte ihn!«, schrie er plötzlich. »Töte ihn, er ist direkt vor dir, töte ihn, töte ihn, töte ihn!« Dunk war nicht sicher, welchen der Ritter er meinte.
Prinz Aerions Lanze, die eine goldene Spitze hatte und mit roten, gelben und orangefarbenen Streifen bemalt war, neigte sich nach unten. Zu tief, zu tief, dachte Dunk in dem Moment, als er es sah. Er wird den Reiter verfehlen und Ser Umfrieds Pferd treffen, er muss die Lanze höher halten. Dann dämmerte ihm mit wachsendem Entsetzen, dass Aerion nicht daran dachte. Er kann doch nicht ernsthaft …
Im letztmöglichen Augenblick scheute Ser Umfrieds Hengst mit vor Angst verdrehten Augen vor der Spitze weg, die auf ihn zugerast kam, aber es war zu spät. Aerions Lanze erwischte das Tier unmittelbar über dem Panzer, der sein Brustbein schützte, und schoss in einem Schwall roten Blutes im Nacken wieder hinaus. Das Pferd fiel schreiend zur Seite und zertrümmerte im Sturz die Holzbarriere. Ser Umfried versuchte abzuspringen, blieb aber mit einem Fuß im Steigbügel hängen, und alle hörten seinen Schrei, als sein Bein zwischen dem gesplitterten Zaun und dem stürzenden Pferd brach.
Ein einziger Aufschrei hallte über die Wiesen von Aschfurt. Männer rannten auf das Feld, um Ser Umfried zu helfen, aber das unter Qualen verendende Pferd trat nach ihnen, als sie sich ihm nähern wollten. Aerion, der unbekümmert um das Blutbad herum bis zum Ende der Schranken geritten war, wendete sein Pferd und galoppierte zurück. Auch er brüllte, aber Dunk konnte die Worte über den fast menschlich anmutenden Schreien des sterbenden Pferdes nicht verstehen. Aerion sprang aus dem Sattel, zog das Schwert und näherte sich seinem gestürzten Gegner. Seine eigenen Knappen und einer von Ser Umfried mussten ihn wegziehen. Ei zappelte auf Dunks Schultern. »Lass mich runter«, sagte der Junge. »Das arme Pferd, lass mich runter!«
Dunk war selbst übel. Was würde ich tun, wenn Donner so ein Schicksal ereilen würde? Ein bewaffneter Mann mit einer Streitaxt erlöste Ser Umfrieds Hengst, und die grässlichen Schreie verstummten. Dunk drehte sich um und drängte sich durch die Menge. Als sie offenes Gelände erreicht hatten, hob er Ei von seinen Schultern. Die Kapuze des Jungen war nach hinten gefallen, seine Augen waren rot. »Ein schrecklicher Anblick, ja«, sagte er dem Jungen, »aber ein Knappe muss stark sein. Ich fürchte, bei anderen Turnieren wirst du noch schlimmere Unfälle sehen.«
»Das war kein Unfall«, sagte Ei mit bebendem Mund. »Aerion wollte es so. Ihr habt es doch gesehen.«
Dunk runzelte die Stirn. Für ihn hatte es auch so ausgesehen, aber es fiel ihm schwer zu glauben, dass ein Ritter derart unritterlich sein konnte, am wenigsten einer vom Blut des Drachen. »Ich habe einen Ritter gesehen, der so grün wie Sommergras ist und die Kontrolle über seine Lanze verloren hat«, sagte er störrisch, »und ich will nichts mehr davon hören. Ich glaube, für heute ist das Turnier vorbei. Komm mit, Junge.«
Er hatte recht, was das Ende des Wettstreits dieses Tages betraf. Als das Durcheinander beseitigt war, stand die Sonne tief im Westen, und Lord Aschfurt rief eine Unterbrechung aus.
Als die Abendschatten über die Aue krochen, wurden hundert Fackeln auf dem Gelände der Händler angezündet. Dunk kaufte sich ein Horn Bier und ein halbes für den Jungen, um ihn aufzumuntern. Sie schlenderten eine Zeitlang herum, lauschten einer fröhlichen Melodie aus Pfeifen und Trommeln und sahen sich ein Puppenspiel über Nymeria an, die Kriegerkönigin mit den zehntausend Schiffen. Die Puppenspieler hatten nur zwei Schiffe, brachten aber dennoch eine packende Seeschlacht zustande. Dunk wollte das Mädchen Tanselle fragen, ob sie seinen Schild schon bemalt hatte, konnte aber sehen, dass sie beschäftigt war. Ich warte, bis sie für heute fertig ist, beschloss er. Vielleicht hat sie dann Durst.
»Ser Duncan«, rief eine Stimme hinter ihm. Und dann noch einmal: »Ser Duncan!« Plötzlich fiel Dunk ein, dass er das war. »Ich habe Euch heute mit diesem Jungen auf den Schultern unter den Gemeinen gesehen«, sagte Raymun Fossowey, der lächelnd näher kam. »Tatsächlich wart ihr beiden schwer zu übersehen.«
»Der
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