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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antti Tuomainen
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bis zu 95 Prozent Rabatt anpriesen. Eine Goldschmiede bot Markenuhren zu Preisen an, die noch vor ein, zwei Jahren einen Käuferansturm ausgelöst ­hätten. Jetzt maßen die Gold- und Platinuhren in ihren Vitrinen eine Zeit, die es nicht gab.
    Die Schnellimbisse hatten dichtgemacht, nur die Schuh- und Bekleidungsläden hielten sich dank hartnäckiger Kunden. Die Kneipe an der Ecke zur Mikonkatu pries auf ihrem Straßenschild billiges Bier an, das Lunchangebot war durchgestrichen.
    An der Ecke der Mikonkatu bog ich nach links ab, und als ich zur Yliopistonkatu, der Universitätsstraße, weitergehen wollte, geriet ich beinahe in eine Schlägerei.
    Ein großer, breitschultriger, nach einem Finnen aussehender Glatzkopf in Lederjacke stand einem schmalen, jungen Asiaten in Kapuzenshirt gegenüber. Der Glatzkopf versuchte den Jungen vor seine schweren Fäuste zu bekommen, doch der wich den Schlägen geschickt aus. Nachdem der Jüngere ein paar gerade Rechte umgangen hatte, ließ er seinen linken Fuß sprechen.
    Der Tritt überraschte alle, vor allem den Glatzkopf. Ein Klatschen und das Geräusch des brechenden Nasenknochen waren mehrere Meter weit zu hören. Der Glatzkopf wankte, versuchte noch eine gerade Rechte, hinter die er sein ganzes Körpergewicht legte. Wieder wich der junge Asiate aus und antwortete mit einem hohen Tritt seines rechten Fußes, der den Glatzkopf irgendwo am Ohr traf. Es sah schmerzhaft aus und hörte sich auch so an.
    Die Arme des Glatzkopfs sanken herab, der Junge ging auf ihn zu und ließ mit zwei raschen Faustschlägen die Lippen seines Gegners aufplatzen wie ein Tütchen Ketchup, anschließend gab er ihm einen letzten Faustschlag aufs Kinn, das für einen Augenblick mit der Faust mitzuwandern schien.
    Der Glatzkopf ging zu Boden, fiel zunächst auf seinen Hintern, dort saß er einen Augenblick mit leerem Blick und blutigem Gesicht, dann kippte er auf die Seite, so als wollte er sich zur Ruhe legen. Der Asiate machte kehrt, ging zu seinem Freund, nahm seine Jacke entgegen und drehte sich noch einmal um. Ich sah in seinem Blick weder Triumph noch irgendetwas anderes. Der ganze Vorfall hatte weniger als eine halbe Minute gedauert. Die beiden verschwanden in Richtung Bahnhof.
    Ich ging weiter zur Universität. Vor dem Porthania-Komplex war es still und leer, was so kurz vor Heilig­abend und angesichts des Nieselregens kein Wunder war. Die Drehtür bewegte sich trotzdem, und ich ging ins Gebäude.
    Ich hatte Laura nach dem Besuch in der Kneipe angerufen und sie damit überrascht. Aus ihren distanzierten und vorsichtig höflichen Worten hatte ich Verwirrung und vielleicht auch Erschrecken herausgehört. Lange hatte das Telefonat nicht gedauert. Als ich erfahren hatte, dass sie auch über Weihnachten an ihrem Arbeitsplatz sein würde, als eine Kombination aus Pförtnerin, diensthabender Professorin, geistiger und physischer Stütze der Studenten und hartnäckig an ihrer Arbeit festhaltender Forscherin, hatte ich sie um ein Gespräch gebeten. Nach kurzem Schweigen hatte sie eingewilligt.
    Laura Vuola: meine große Liebe – vor zwanzig Jahren.
    Ich erinnerte mich deutlich an unsere erste Begegnung in der fünften Etage des Neuen Studentenhauses auf der Weihnachtsfeier der staatswissenschaftlichen Fakultät: Laura in einem weinroten Rollkragenpullover und mit dunkelrot geschminkten Lippen; meine Verwirrung und mein Triumph, als ich sie überreden konnte, mit mir die Party zu verlassen; unser gemeinsamer Spaziergang durchs verschneite Stadtzentrum hin zu ihrer Wohnung in Viiskulma, in der Laivurinkatu Nummer 37.
    Und ich weiß auch noch, wie ich, nach einjährigem täg lichem Streit, durchs schwarze und von einem scharfen Winterwind durchwehte Stadtzentrum nach Töölö heimgegangen war. Laura hatte schnell die Wahrheit erkannt: Ich war nicht ehrgeizig, nicht zielstrebig und auch nicht karriereorientiert. Hätte mir jemand gesagt, dass Gegensätze einander anziehen, hätte ich ihm Lauras und meine Geschichte erzählt.
    In der Eingangshalle der Uni ging ich durch einen ­Metalldetektor. Ich legte Schuhe und Gürtel ab, so wie in fast allen Gebäuden, die man heutzutage betrat, und bekam beides von einer Wachfrau mit rot unterlaufenen Augen zurück, die sich, ohne ein Wort zu sagen, ihre blondierte Haare aus dem Gesicht schüttelte, auf ihren Stuhl setzte und in ein

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