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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antti Tuomainen
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war unfähig, irgendetwas zu tun. Komisch, wie sich die Bedeutung der Dinge ändern kann. Auf dem Bett lag nicht mehr nur ein handgeschriebener und selbst eingebundener Gedichtband zusammen mit einer bescheidenen Summe Verwöhngeld, sondern mein ganzes bisheriges Leben. All das, was aus jedem Tag das Leben machte. Ich spürte, wie mir wieder große, heiße Tränen in die Augen schossen und mir übers Gesicht, auf die Oberlippe und aufs Kinn rannen.
    Ich wandte mich ab, zog auch die zweite Socke an und ging aus dem Schlafzimmer, das Geschenk ließ ich auf dem Bett liegen.
    Ich kochte mir Kaffee, räumte Johannas Becher in den Schrank, nahm meinen eigenen und setzte mich damit an den Computer. Wieder sah ich gewissenhaft das komplette Material durch, ohne etwas Neues oder Unter­suchenswertes zu finden. Ich studierte auch ein weiteres Mal das Bildmaterial der Überwachungskamera, fand ­jedoch auch jetzt nichts, was meine Aufmerksamkeit ­erregt hätte.
    Ich schenkte mir Kaffee nach, da fiel mir plötzlich etwas ein. Ich suchte mir mit Johannas Passwörtern aus den Archiven der einzelnen Zeitungen ihre Artikel her­aus, las auch sie mit der gleichen Gewissenhaftigkeit wie all das Material im Zusammenhang mit dem Heiler, bis der Kaffeebecher leer war und ich meinen steifen Körper bewegen musste. Mein Rücken schmerzte nicht mehr ständig, die Spuren des Schlagstockes machten sich nur noch bemerkbar, wenn ich in einer bestimmten Haltung saß.
    Ich versuchte abermals, Kommissar Jaatinen anzu­rufen, erfolglos. Also kehrte ich an den Computer zurück und las weiter in Johannas Artikeln.
    Johanna war immer eine fleißige Schreiberin gewesen, und ganz besonders als junge Freiberuflerin. Sie verfasste Beiträge für viele Blätter, schrieb schnell, fand vieles heraus und gewann rasch das Vertrauen der Menschen, auch der Interviewpartner. Alles Eigenschaften, die sie zu einer guten Journalistin machten. Ihre wirkliche Begabung war jedoch, in einem ganzen Wust von Informationen jeweils den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, der alles zusammenfasste und auf den Punkt brachte. Diese Fähigkeit hätte ich jetzt gebraucht.
    Doch trotz aller Ungewissheit und Verzweiflung war ich vorangekommen. Zum Beispiel hatte Lauras Bericht meine Auffassung von Johannas und Pasi Tarkiainens früherer Beziehung bestätigt. Was ich von Elina gehört hatte und meine eigene Interpretation von Johannas verbissenem Schweigen sagten mir außerdem deutlich, dass sie Angst gehabt hatte und das aus gutem Grund.
    Warum war ich dann so eifersüchtig?
    Und warum war das so schlimm?
    Ich war eifersüchtig, weil mir Dinge verheimlicht worden waren. Gleichzeitig empfand ich die Eifersucht nicht nur als unangenehm, sondern auch als niederschmetternd kleinlich. Ganze Familien wurden ermordet, und ich grübelte darüber nach, ob ich beleidigt worden war. Es war demütigend festzustellen, dass ich kindischer und egoistischer war, als ich je geglaubt hätte.
    Und dieses miserable Gefühl besserte sich auch nicht, als plötzlich das Symbol für eine neu eingegangene E-Mail aufblinkte. Die Eifersucht brannte in mir, meine Paranoia nahm freien Lauf.

    9 Jaatinens Gesicht war nass vom Regen, rot vom Wind und darüber hinaus betont ausdruckslos. Wir standen auf der Seeseite von Jätkäsaari, zweihundert ­Meter nördlich der Stelle, an der mein Körper Bekanntschaft mit den Schlagstöcken und Springerstiefeln der Security-Leute gemacht hatte. Der Wind steckte seine kalten Finger unter meine Jacke und fuhr durch meine Hose, dass sie flatterte. Hätte ich nicht vor Schock gezittert, dann vor Kälte.
    Jaatinen hatte mich kurz vorher angerufen und dann in die sechste Etage des hinter uns stehenden Hauses mitgenommen. In einer geräumigen und dezent eingerichteten, dreihundert Quadratmeter großen Dachgeschosswohnung waren ein Privatbankier und seine Familie ermordet worden.
    Jaatinen blickte aufs Meer hinaus, suchte nach irgend­etwas auf der grüngrauen Wasseroberfläche und schien eher die Worte hinauszuzögern als über mögliche Gesprächsthemen nachzudenken.
    Und was konnte man in einer solchen Situation überhaupt sagen? Mir hatte es die Sprache verschlagen. Nie zuvor hatte ich etwas Ähnliches gesehen. Und es gab nichts, was mich darauf vorbereitet hätte. Gar nichts.
    Â»Ich habe dich mitgenommen, weil auch diesmal der Verdacht auf

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