Der heilige Erwin und die Liebe
Zigarette tief in ihre Lungen, aber auch das hilft nicht gegen den Druck, den sie in ihrer Brust spürt. In der Wohnung ist Ruhe eingekehrt. Olli schläft , und die GroÃen schauen in Christofs Zimmer einen Film an. Die Mutter denkt an ihre Söhne und an die aufreibenden Gespräche, die sie mit ihnen geführt hat. Sei kein Feigling, ermahnt sie sich selbst und drückt die Kippe energisch im Aschenbecher aus. Obwohl es sie einige Ãberwindung kostet, greift sie zum Telefonhörer und wählt die Nummer, die sie noch immer auswendig kennt. »Ich binâs«, sagt sie mit belegter Stimme zu dem Mann am anderen Ende der Leitung. »Wir müssen über die Jungs reden.«
ie gefüllten Säckchen am Adventskalender wer den weniger. Jeden Morgen schneidet Erbse gleich nach dem Aufwachen ein Päckchen von der Schnur ab, die an ihrer Zimmerwand hängt. Sie findet immer ein Schokoladenbonbon und Krimskrams darin vor â Âeinen lustigen Anspitzer, einen bunten Radiergummi, ein Jojo oder Ãhnliches. Heute ist es eine Fingerpuppe aus Filz, die vermutlich ein Rentier darstellt. Was soll ich denn damit, fragt sich Erbse verwundert. Manchmal scheinen ihre Eltern zu vergessen, dass sie nicht mehr drei Jahre alt ist. Trotzdem freut sie sich Tag für Tag darauf, ihr Päckchen zu öffnen. Komisch, denkt sie. Ich wünsche mir, dass endlich Weihnachten ist, und andererseits will ich, dass die Vorweihnachtszeit nie aufhört.
Eigentlich ist alles gut so, wie es gerade ist. Erbse findet es schön, sich mit Lolli und den Tieren zu treffen. Und auch die Besuche bei Erwin und Rita genieÃt sie. In der vergangenen Woche waren Lolli und sie jeden Tag bei dem Paar. Sie haben Kakao oder Limo getrunken, mit Erwin und Rita Monopoly gespielt oder der Wirtin dabei geholfen, die Kneipe vorzubereiten. Dabei hat sich Erbse mit Lolli einen Wettstreit geliefert, wer in der kürzesten Zeit die meisten Stühle auf die Tische stapeln kann. Erbse hat gewonnen, und Rita konnte bequem überall wischen.
Heute allerdings, am Samstag, kann Erbse nicht zu ihren Freunden gehen. Sie wird mit ihren Eltern zum traditionellen Weihnachtsbummel aufbrechen.
»Erbse, kommst du?«, ruft der Vater von unten. »Das Frühstück ist fertig!«
Erbse schiebt sich die SüÃigkeit, die sie noch immer in der Hand hält, in den Mund und lässt das Rentier in der Schublade ihres Schreibtischs verschwinden â wo es neben ähnlichen netten Kleinigkeiten vom vergangenen Jahr vergessen werden wird.
In der FuÃgängerzone herrscht dichtes Gedränge. Es sieht so aus, als ob alle Bewohner Kölns gemeinsam beschlossen hätten, ausgerechnet heute ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Die Eltern haben Erbse in ihre Mitte genommen â so ist sie geschützt vor den Rempeleien der gestressten Menschen um sie herum. Das Mädchen beobachtet aufmerksam das Geschehen. Sie unterscheidet zwei Arten von Einkäufern: die Jäger und die Bummler. Die Jäger erkennt man am gehetzten Blick. Sie setzen ihre Taschen und Einkaufstüten wie Schneepflüge ein, um sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Die Angehörigen dieser Spezies betrachten jeden anderen als Gegner im Kampf um das beste Schnäppchen. Sie fürchten nichts mehr, als dass ihnen ein gutes Angebot vor der Nase weggekauft wird. Darum beeilen sie sich auch so sehr.
Zur Gruppe der Bummler dagegen zählt Erbse auch sich und ihre Eltern. Die Bummler lassen sich im ÂTrubel der EinkaufsstraÃen treiben. Anstatt von der Hektik angesteckt zu werden, genieÃen sie die vorweihnachtliche Stimmung, die sich angesichts der geschmückten StraÃen und Schaufenster einstellt. Die Bummler verfolgen kein bestimmtes Ziel. Sie vertrauen einfach darauf, dass das passende Geschenk irgendwo auf sie warten wird.
»Wir brauchen auf jeden Fall noch was für Oma Toni«, verkündet Erbses Vater, als die drei vor dem Schaufenster eines Bettengeschäfts stehen bleiben. Er zeigt auf eine beheizbare Wolldecke. »So was vielleicht?«
Aber die Mutter winkt ab. »Eine Wolldecke haben wir ihr im letzten Jahr geschenkt. Meinst du, sie hätte die auch nur ein einziges Mal benutzt?«
Das Dreiergrüppchen lässt sich von der Menschenmenge weiter schieben, bis es wieder aus dem Strom der Einkäufer ausschert und vor einer Auslage mit Elektronikartikeln stehen bleibt.
»Dann vielleicht mal was ganz anderes«,
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