Der Heilige Krieg
eine brutale Sitte: der Brudermord . Schon Mehmed I. erklärte: »Ein Reich kann nicht zwei Herrscher beherbergen. Die Feinde, die uns umgeben, warten nur auf eine Gelegenheit.« Und sein Enkel auf dem Sultansthron bestätigte: »Zur Wahrung der Weltordnung ist es zweckmäßig, wenn derjenige meiner Nachkommen, der das Sultanat erlangt, seine Brüder töten lässt.« Tatsächlich sollte die Regelung dafür sorgen, dass die Dynastie mehrmals kurz vor dem Aussterben stand. Später wurde der grausame Brauch etwas gemildert, der Brudermord durch die lebenslange Inhaftierung möglicher Konkurrenten im »goldenen Käfig« des Palastes ersetzt.
Auch gegen Byzanz führte Sultan Bayezid I. Krieg. Mehrmals belagerte er die Hauptstadt, erpresste die Zahlung von Tributen und erzwang sogar den Bau einer Moschee in der Stadt. Es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis die Metropole, »gegen Ende des 14. Jahrhunderts eine von Schwermut erfüllte, sterbende Stadt«, wie sich der englische Historiker Steven Runciman ausdrückte, endgültig seine Hoheit an das Osmanische Reich verlieren würde. Doch unerwartet erhielt Byzanz Hilfe aus dem Osten. Timur, im Westen auch bekannt als Tamerlan, Anführer einer riesigen mongolisch-muslimischen Reiterarmee, forderte die Osmanen heraus. Er sah sich als Erbe Dschingis-Khans und wollte das mongolische
Weltreich wiedererrichten. Binnen weniger Jahrzehnte eroberte er das ganze Gebiet von Indien bis nach Persien. 1402 prallten in Anatolien zwei der größten muslimische Reiche ihrer Zeit aufeinander.
Bei Ankara stellten sich die Heere Bayezids und Timurs am 20. Juli zur Schlacht. Doch waren es die sieggewohnten Osmanen, die diesmal eine schwere Niederlage einstecken mussten. Der Sultan wurde gefangen genommen, die »schlimmste Krise seit der Entstehung des Osmanischen Reiches«, so Klaus-Peter Matschke, nahm ihren Lauf. Zwar zog Timur ein Jahr nach seinem Sieg wieder nach Osten, doch unter den Söhnen Bayezids brach ein Streit um die Thronfolge aus, der einen zwölfjährigen Bürgerkrieg zur Folge haben sollte. Das Osmanenreich geriet an den Rand des Zusammenbruchs. Als Sieger aus den Bruderkämpfen ging schließlich Mehmed I. hervor. Er einte ein zerrissenes Reich, das große Gebiete verloren hatte und von den Kriegen ausgeblutet war. Und das sich doch erstaunlich schnell von dieser existenziellen Krise erholen sollte.
Der »goldene Apfel«
Am späten Nachmittag zieht Mehmed II. auf seinem Schimmel in die verwüstete Stadt ein. Begleitet wird der junge Sultan von seinen Janitscharen und den Hofbeamten. Sie beobachten, wie die siegreichen osmanischen Truppen die Häuser Konstantinopels plündern – und wie sie Jagd auf die Bewohner machen. Vor der Hagia Sophia steigt der Sultan von seinem Pferd und streut sich als Zeichen der Demut etwas Erde auf den Turban. Dann betritt er die ausgeraubte Kirche. Den Zivilisten, die immer noch furchtsam in den Winkeln des Gotteshauses kauern, gewährt der Sultan freien Abzug. Wie auch den orthodoxen Priestern, die sich jetzt aus ihrem Versteck hervortrauen. Als Ruhe in der Kirche einkehrt, ruft der Muezzin von der Kanzel zum Gebet. Sultan Mehmed II. und seine Männer fallen auf die Knie. Die Hagia Sophia, bis dahin die wichtigste Kirche der Christenheit, ist nun eine Moschee.
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Konstantinopel mit der Hagia Sophia und nach ihrer Umwandlung in eine Moschee. Europäische Darstellung aus dem 16. Jahrhundert.
Mit der Eroberung Konstantinopels am 29. Mai 1453 durch Mehmed II. schien eine Prophezeiung in Erfüllung zu gehen, die Mohammed vor seinen Gefährten gemacht hatte: »Habt ihr von einer Stadt vernommen, deren eine Seite Land ist und die anderen beiden Meer sind? Konstantinopel wird erobert werden. Gesegnet sei der Befehlshaber, der es einnehmen wird, und gesegnet seien seine Truppen.« Für muslimische Krieger war die Hauptstadt der orthodoxen Christenheit von früher Zeit an ein lockendes Ziel. Bereits im 7. und 8. Jahrhundert hatten arabische Gazi vergeblich versucht, Konstantinopel einzunehmen. In den nächsten Jahrhunderten wurde die Stadt mehrmals von muslimischen Heeren belagert. Doch Konstantinopel trotzte allen Angriffen, bis die Osmanen kamen. Ihnen galt die Stadt am Bosporus als der »goldene Apfel«, Symbol für das wichtigste Angriffsziel.
Das byzantinische Bollwerk
Die Landseite der Stadt schirmte ein 20 Kilometer langes, dreifach gestaffeltes Befestigungswerk ab, die Theodosianische Mauer. Sie bestand aus einem 20 Meter
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