Der Heilige Krieg
Kirchenglocken gegossen worden war. Am 12. April 1453 begann aus 69 Kanonen der laut dem englischen Publizisten Roger Crowly »erste konzentrierte Artilleriebeschuss der Geschichte«. An die Feuerkraft der Riesenkanone erinnerte sich ein Verteidiger: »Sie pulverisierten die Mauer damit, und obwohl sie extrem dick und stark war, brach sie unter dem Beschuss durch dieses schreckliche Gerät zusammen.« Trotzdem gelang es den Verteidigern, sämtliche Angriffe abzuwehren, nachts wurden die Breschen in der Mauer mit Holzpalisaden wieder notdürftig geschlossen.
Sechs Wochen nach Beginn der Belagerung fasste Mehmed II. den Entschluss, mit einem Großangriff alles auf eine Karte zu setzen: »Diese Leiden dienen dem Ruhme Gottes. Das Schwert des Islam liegt in eurer Hand«, wurden die Soldaten an ihrer Gazi-Ehre gepackt: Bei einem Scheitern wäre nicht nur der Kampf um Konstantinopel verloren, sondern der junge Sultan müsste auch um seinen Thron, wenn nicht um sein Leben fürchten. Die Verteidiger wussten ebenfalls, was sie erwarten würde gegen die »wilden und unmenschlichen Türken«. Kaiser Konstantin setzte zur Hebung der Kampfmoral auf bewährte Rhetorik: »Wenn ihr auch nur einen Blutstropfen vergießt, so ist euch eine Märtyrerkrone im Himmel gewiss.«
Am 29. Mai 1453 um zwei Uhr morgens begann der osmanische Großangriff. »Das Weinen und Schreien, die Schreie und Schluchzer der Menschen, das Brüllen der Kanonen und das Läuten der Glocken verbanden sich zu einem Geräusch, das dem Donner glich«, schrieb einer der Belagerten. Mehrere Angriffe konnten die Verteidiger zurückschlagen, doch dann erlagen sie der Übermacht. Auch Kaiser Konstantin war beim Kampf an den Mauern gefallen. »Ich bin entschlossen, mit euch zu sterben«, hatte er seinen Leidensgenossen zuvor erklärt. Jetzt war die Stadt auf Gedeih und Verderb den Eroberern ausgeliefert.
»Wenn du darauf bestehst, mir den friedlichen Einzug in die Stadt zu verweigern, werde ich mir gewaltsam den Weg bahnen und werde dich und deine Edelleute niedermetzeln. Ich werde alle Überlebenden töten und meinen Truppen freie Hand zur Plünderung geben. Die Stadt ist alles, was ich wünsche, selbst wenn sie leer sein sollte.«
Mehmed II., Kapitulationsaufforderung an Konstantin XI.
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Kanonen wie diese trugen maßgeblich zur Eroberung Konstantinopels 1453 bei.
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29. Mai 1453: Die Erstürmung. Europäische Illustration aus dem 15. Jahrhundert.
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Konstantin XI., der letzte Kaiser von Byzanz.
Nach islamischem Recht wurde eine Stadt geschont, die sich kampflos ergab. Doch die Verteidiger von Konstantinopel hatten jede Kapitulation abgelehnt und viele osmanische Soldaten getötet. Mehmed musste die dreitägige Plünderung der Stadt erlauben, die Einwohner waren vogelfrei. »Die ganze Stadt war voll mit Menschen, die töteten oder getötet wurden, die flohen oder verfolgt wurden«, so ein Augenzeuge. Viele Zivilisten wurden ermordet, noch mehr gefangen genommen und versklavt. Die Häuser standen
zur Plünderung frei, doch längst nicht die ganze Stadt wurde ausgeraubt und verwüstet, antike Denkmale und Kirchen stellte der Sultan unter seinen Schutz. Von nun an würde Mehmed II. auch den Titel »Padişah« führen, der in etwa dem Kaisertitel entsprach. Er sah sich als legitimen Nachfolger der römischen Kaiser, seinen griechischen Untertanen bot er einen Platz in seinem Reich. Er setzte sogar einen Patriarchen ein. Die orthodoxe Kirche war eine staatliche Institution des Osmanischen Reiches. Bald nach der Eroberung ließ er die Stadt nicht nur von Türken, sondern auch von vielen Griechen wieder besiedeln.
In Europa löste die Nachricht von der Eroberung Konstantinopels einen Schock aus. Niemand hatte ernsthaft damit gerechnet, dass die Stadt, die schon so oft belagert worden war, diesmal wirklich fallen würde. Kaiser Friedrich III. soll in Tränen ausgebrochen sein. Ein Zeitgenosse klagte: »An dem Tag, an dem die Türken Konstantinopel einnahmen, verdunkelte sich die Sonne.« Es war der Beginn der »Türkenangst« in Europa, die von der Kirche kräftig mitgeschürt wurde: Ein tägliches »Türkenläuten« sollte an die ständige Bedrohung erinnern, »Türkenpredigten« wurden so üblich wie Bittgebete an die »Türkenmadonna«. Eine »Reichstürkenhilfe« sollte den Krieg gegen die »Heiden« finanzieren, die Landesfürsten erhoben dafür den »Türkenpfennig«.
Von »Byzantion« bis »Istanbul«
Ursprünglich hieß die erste
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