Der Heilige Krieg
breiten Wassergraben, hinter dem sich ein dreifacher Mauerring aus Stein erhob. Die dritte und größte Mauer erreichte eine Höhe von 12 Metern und wurde von fast 100 steinernen Türmen verstärkt.
Bis zum Zeitalter der Feuerwaffen war die Theodosianische Mauer unüberwindbar. Die einzige Eroberung der Stadt durch die Kreuzritter 1204 gelang deshalb auch nur von der Seeseite aus.
Der junge, ehrgeizige Sultan Mehmed II. saß gerade einmal zwei Jahre auf dem Thron, als er mit seiner Streitmacht vor Konstantinopel auftauchte. Die Eroberung der Stadt sollte seinen Namen mit einem Schlag in der ganzen muslimischen Welt berühmt machen – laut dem afghanisch-amerikanischen Historiker Tamim Ansary ein »genialer Propagandacoup«. Doch der Sultan war auch von nüchternen strategischen Überlegungen geleitet. Konstantinopel lag genau im Zentrum des wachsenden Reiches, hier trafen Asien und Europa, Mittelmeer und Schwarzes Meer zusammen. Solange die Stadt nicht unter eigener Kontrolle war, bohrte sie sich wie ein Stachel in das Herz des Osmanischen Reiches. Mit ihrer Einnahme aber wäre auch der Rücken frei für weitere Eroberungen in Europa.
»Mein höchstes Trachten geht dahin, die Ungläubigen niederzuwerfen. Wenn wir auf Gott vertrauen und zum Propheten beten, werden wir die Stadt einnehmen.«
Mehmed II.
In bester osmanischer Tradition verstand der junge Sultan es, seine expansionistischen Ziele mit religiöser Propaganda zu überhöhen. Mehmed erklärte es zu seinen Pflichten als frommer Muslim, gegen Byzanz in den Heiligen Krieg zu ziehen.
Doch der Sultan stützte sich nicht auf Gottvertrauen allein. Akribisch ließ er die Belagerung vorbereiten, legte Vorräte an, füllte die Rüstkammern und zog in Thrakien ein riesiges Heer zusammen. Dass in seinen Reihen auch christliche Kontingente vom Balkan kämpften, störte den Glaubenskrieger dabei nicht.
Mehmed ließ 1452 an der engsten Stelle des Bosporus eine Festung errichten und mit Kanonen bestücken, »Halsabschneider« wurde sie genannt. »Die Zeit des Antichristen ist gekommen«, erschauerte ein griechischer Beobachter, als der Bau der Festung begann. Im Frühling 1453 brach das Heer Mehmeds von Edirne aus auf, symbolträchtig am geheiligten Freitag. »Wenn es marschierte, erschien die Luft wie ein Wald wegen sei-ner
Lanzen, und wenn es lagerte, war die Erde nicht zu sehen vor Zelten«, staunte ein Augenzeuge. Als der Sultan am 6. April sein Zelt vor Konstantinopel aufschlug, war die Stadt zu Land und zu Wasser abgeschnitten. »Gegen die Gewalt der Türken konnte keine Macht mehr helfen außer Gott selbst«, schrieb einer der Belagerten. Den 80 000 türkischen Soldaten standen gerade einmal 6000 Verteidiger gegenüber. »Ich schließe die Tore meiner Hauptstadt und werde mein Volk bis zum letzten Tropfen meines Blutes verteidigen«, erklärte der byzantinische Kaiser Konstantin XI. Die einzige Hoffnung, die den Belagerten jetzt noch blieb, war, dass ihnen die christlichen Glaubensbrüder im Westen zu Hilfe kämen.
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Sultan Mehmed II., Porträt eines venezianischen Malers.
Bei denen aber hielt sich das Interesse an einem teuren und riskanten Kreuzzug in Grenzen. Zu weit weg war das byzantinische Kaiserreich, zu oft waren christliche Heere von den Osmanen besiegt worden, und zu lange war die katholische Kirche über die »Häretiker« des orthodoxen Glaubens hergezogen. Da half es auch nicht viel, dass Byzanz nach endlosen Verhandlungen 1452 endlich zu einer Glaubensunion unter Vorrang der katholischen Kirche bereit war. Dieses Zugeständnis war allerdings in Konstantinopel auf wenig Gegenliebe gestoßen. »Lieber den Turban des Sultans als den Hut des Kardinals«, soll ein byzantinischer Minister gesagt haben.
Nach Beginn der Belagerung schrieb ein Gegner der Kircheneinigung: »Diese Union war schlecht und hat Gott missfallen. In Wirklichkeit ist sie die Ursache all unserer sonstigen Misslichkeiten.« In Europa dagegen verhallte der Kreuzzugsaufruf des Papstes weitgehend ungehört. Nur eine kleine Flotte kam zusammen, die mit Soldaten, Waffen und Proviant an
Bord zu den Belagerten durchbrechen sollte. Doch ihr Auslaufen verzögerte sich immer wieder. Die kaiserliche Hauptstadt stand allein.
Und sie sah sich einem Feind gegenüber, der eine neue Superwaffe besaß: Kanonen, darunter ein acht Meter langes Geschütz aus Bronze, »ein schreckliches und furchteinflößendes Ungeheuer«, das von einem Waffenmeister aus Ungarn konstruiert und aus
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