Der Heilige Krieg
Vorgänger als fähiger Militär und Organisator. Er setzte eine Militärreform fort, die bereits sein Vater begonnen hatte: die Bildung eines stehenden Heeres. Mit Soldaten, die nicht in die alten Stammesstrukturen eingebunden, sondern nur dem Herrscher gegenüber loyal waren. Diese Verbände, »Janitscharen« – »Neue Truppe« – genannt, setzten sich zuerst aus christlichen Kriegsgefangenen zusammen, die vom europäischen Kampfplatz, dem »Haus des Krieges«, stammten. Auf dem Schlachtfeld verbreitete die »Neue Truppe« rasch Furcht und Schrecken unter ihren Feinden.
Der Bedarf nach den kampfstarken Janitscharen war bald so groß, dass die Sultane eine neue Form der »Rekrutierung« erfanden: die Knabenlese. Regelmäßig suchten Janitscharen die christlichen Dörfer des Balkans, später auch Anatoliens, auf. Alle männlichen Kinder und Jugendlichen mussten sich auf dem Dorfplatz versammeln. Im Beisein des Geistlichen wurden sie vorgeführt und untersucht. Die ausgewählten Knaben aber mussten die Janitscharen für immer nach Konstantinopel begleiten – für die Zurückgebliebenen eine traumatische Erfahrung: »Welche Leiden hätte ein Mensch nicht durchkostet, der den Knaben, den er geboren hat, wegen dessen er so häufig geweint hat und für den er immer nur das höchste Glück gewünscht hat, plötzlich gewaltsam von fremden Händen weggerafft und in sonderbare Sitten zu fallen gezwungen sieht?«, klagte ein griechischer Kirchenmann.
In ihrer neuen Heimat wurden die Knaben als Erstes unter Zwang zum Islam bekehrt, dann zumeist bei Bauern erzogen, einige ausgewählte auch am Hof behalten. Ihr weiteres Schicksal schildert eine osmanische Quelle: »Sowie sie zu Muslimen geworden waren, wurden sie von Türken viele Jahre lang zum Dienst verwendet und dann wieder an den Hof gebracht. Dort setzte man ihnen die weiße Ketsche [Filzhaube] auf und gab ihnen den Namen Janitscharen.«
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Murad I. auf Wolfsjagd. Osmanische Darstellung aus dem 16. Jahrhundert.
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Ein Janitschar mit der »Ketsche«, der typischen Kopfbedeckung aus Filz.
In Friedenszeiten lebten sie in Kasernen, wo sie strenger Disziplin unterstanden und für den Kampf gedrillt wurden. Da die Janitscharen wurzellos in der Gesellschaft waren und nicht heiraten durften, bildete sich unter ihnen ein ausgeprägter Korpsgeist. Gefürchtet für ihren Todesmut und ihren Siegeswillen, wurden die Janitscharen zur Eliteeinheit der osmanischen Armee. Im Gegenzug beanspruchten sie die besondere Gunst des Herrschers und Privilegien im Staat. Bewährte Kämpfer konnten mit Landgütern ausgezeichnet werden, bald stellten die Rekruten der Knabenlese den größten Teil der militärischen und politischen Elite des Reiches.
Mit diesen Elitetruppen nahm Murad I. 1365 die byzantinische Stadt Hadrianopel ein und machte sie zu seiner neuen Hauptstadt. Es war ein
deutliches Zeichen dafür, dass Europa inzwischen bedeutsamer für die Osmanen wurde als Asien – zum Schrecken der Europäer. Nach einem Sieg Murads über die Serben 1371 schrieb ein griechischer Chronist: »Von nun an begannen die Muslime das Reich der Christen zu überrennen.« Eine weitere Schlacht, die unter Murad I. geschlagen wurde, sollte bald legendäre Züge erhalten und heute als Nationalmythos des serbischen Volkes gelten: die Schlacht auf dem Amselfeld 1389. Sie hatte keinen wirklichen Sieger, doch die Herrscher beider Seiten verloren bei den Kämpfen ihr Leben. Der Serbenführer fiel im Kampf, Sultan Murad wurde im Lager von einem Attentäter ermordet. Spätere osmanische Chroniken feierten ihn dafür als »Märtyrer«.
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Die Schlacht auf dem Amselfeld 1389 trägt heute legendäre Züge. Europäischer Stich aus dem 19. Jahrhundert.
Murad hatte in seiner knapp 30-jährigen Herrschaft ein Imperium errichtet, das fünfmal größer war als das Reich seines Vaters – ein Vielvölkerstaat,
in dem neben den muslimischen Untertanen auch viele christliche lebten und der von einem Ring christlicher Vasallenstaaten umgeben war. Ein wesentlicher Faktor, denn »die Tribute christlicher Staaten bildeten von Anfang an einen wichtigen Posten im osmanischen Budget«, so der Turkologe Klaus Kreiser. Nichts schien mehr den kometenhaften Aufstieg der Osmanen stoppen zu können – und doch sollte genau das passieren.
Phönix aus der Asche
Der Käfig hängt an einer schweren Eisenkette von der Decke herab. Seine Größe ist so konstruiert, dass der Gefangene weder richtig stehen noch sitzen
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