Der Heilige Krieg
kann. Dem Käfiginsassen wird eine karge Mahlzeit gereicht: ein Stück Brot und ein abgenagter Knochen. Doch die Demütigung des osmanischen Sultans hört damit nicht auf. Er muss mit ansehen, wie seine Gemahlin als Sklavin ihrem neuen Herrn zu Diensten ist. Nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet, kredenzt sie Timur die erlesensten Früchte. An einem einzigen Tag hatte Sultan Bayezid I. alles verloren: seine Freiheit, seine Frau – und sein Reich. Als gebrochener Mann wird er wenige Monate nach seiner Gefangennahme in der Haft von Timur sterben.
Die Szene ist reine Fantasie, festgehalten auf einem europäischen Stich aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Und doch besitzt sie einen wahren historischen Kern: Tatsächlich erlitt 1402 der Osmanensultan Bayezid I. in der Schlacht von Ankara die »womöglich schwerste Niederlage in einer einzelnen Schlacht in der ganzen osmanischen Geschichte«, so der Münchener Turkologe Christoph Neumann. Der Sultan aber geriet in Gefangenschaft, in der er bald darauf verstarb.
Sultan Bayezid I. blieb als tragische Figur im kollektiven Gedächtnis. Dabei begann auch seine Regierung wie die seiner Vorgänger als Erfolgsgeschichte. Auch er war von Sieg zu Sieg geeilt, hatte seinem Reich in Anatolien und Europa neue Gebiete hinzugefügt und Byzanz offen die Stirn geboten.
In Europa waren die Osmanen unter Bayezid I. bis an die Grenze Ungarns vorgestoßen. Noch hatte die katholische Welt kaum realisiert, in welch kritischer Lage sich die christlichen Länder Südosteuropas befanden. Erst ein Hilferuf des ungarischen Königs veranlasste den Papst 1394, die Idee des »Heiligen Krieges« wiederzubeleben: Er rief zum Kreuzzug auf. Vor allem in Frankreich stieß der päpstliche Appell auf große Resonanz. Es sei eine Pflicht für jeden »Mann von Wert«, an diesem Krieg im Namen Gottes teilzunehmen. Über seinen Gegner wusste der europäische Adel dabei so gut wie nichts. Doch der Optimismus war groß: Nach dem Sieg über die Osmanen sollte der Kreuzzug bis nach Jerusalem fortgesetzt werden. 1396 sammelte sich ein französisch-ungarisches Heer, zu dem Ritter aus ganz Europa gestoßen waren, an der Donau. Ihnen rückte Bayezid I. mit seiner kampferprobten Streitmacht entgegen.
Bei Nikopolis in Bulgarien kam es am 25. September 1396 zur Schlacht. Das europäische Heer bestand aus schwer gepanzerten Rittern, die, wie schon seit Jahrhunderten, auf ihren Schlachtrössern der Taktik einer geschlossenen Reiterattacke vertrauten. Die Truppen des Sultans dagegen waren bunt gemischt, sie umfassten schwere und leichte Infanterie, Kavallerie, Bogenschützen und Pioniereinheiten. Es waren gut ausgebildete Soldaten, die flexibel eingesetzt werden konnten. Im Zentrum standen die Janitscharen, die hinter ihren Feldbefestigungen den Angriff erwarteten. Doch unter den Christen herrschte Streit: Wem sollte die Ehre der ersten Attacke gebühren? Die französischen Ritter stürmten schließlich auf eigene Faust vor, rannten sich aber an der Stellung der Janitscharen fest und wurden vom Hauptheer abgeschnitten. Für die europäischen Kreuzfahrer endete die Schlacht von Nikopolis in einer totalen Niederlage, die als »letzter Kreuzzug« berühmt werden sollte. In Europa aber begründete Nikopolis den »Nimbus von der Unbesiegbarkeit der Türken«, so der Leipziger Historiker Klaus-Peter Matschke.
Der »deutsche Marco Polo«
Unter den Kreuzfahrern kämpfte auch ein 16-jähriger Knappe aus Bayern, Johannes Schiltberger. Er verfasste einen Bericht über die Schlacht bei Nikopolis, worin er beschrieb, wie das Heer der Kreuzritter besiegt und in die Flucht geschlagen wurde. Und wie nach der Schlacht »ein groß Blutvergießen« begann: Sultan Bayezid ließ viele gefangene Christen enthaupten.
Nur seine Jugend rettete Schiltberger das Leben, seine Heimat sollte er aber erst 31 Jahre später wiedersehen. Seine Schrift »Ein wunderbarliche und kürtzweylige Histori, wie Schildtberger, einer auß der Stat München in Bayern, von den Türcken gefangen, in die Heydenschaft gefüret und wieder heym kommen« war einer der frühesten Berichte über die Osmanen. Schiltberger wurde als »deutscher Marco Polo« bekannt.
Bild 122
Die Schlacht von Nikopolis wurde als »letzter Kreuzzug« bekannt. In der unteren Bildhälfte wird die Enthauptung christlicher Gefangener dargestellt.
Brutale Brudermorde
Um in Zukunft Bürgerkriege und die territoriale Aufsplitterung des Reiches zu vermeiden, etablierte sich unter den Osmanen
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