Der Heilige Krieg
späten 16. Jahrhundert.
Der Botschafter beobachtete auch viele andere Merkwürdigkeiten in der Hauptstadt der Osmanen. Sein Urteil über die türkische Badekultur fiel dabei eher zwiespältig aus: »Sie hassen Köperschmutz wie einen Makel, mehr als geistige Unreinheit.« Einige Bäder aus der Zeit Süleymans stehen heute noch in Istanbul. Ob Busbecq auch seinen ersten Kaffee in Konstantinopel gekostet hat? Möglich ist es, denn das erste Kaffeehaus der Stadt hatte bereits 1554 eröffnet. Der Botschafter erwähnt aber nur ein anderes exotisches Getränk: »Eine Art saure Milch nennen sie Jugurtha, die sie mit eiskaltem Wasser verdünnen und Brot hineinkrümeln.«
Aquädukte sicherten die Versorgung der Hauptstadt mit Trinkwasser. Sie waren zu Süleymans Zeit in einem ebenso guten Zustand wie das Netz der Fernstraßen, welches das Osmanische Reich überspannte: »Seit dem Untergang des Römerreiches hatte kein Staat in Europa seinem Straßenwesen eine solche Pflege angedeihen lassen«, bestätigte denn auch der tschechische Experte Konstantin Jireček. Besondere Kunstfertigkeit bewiesen die osmanischen Baumeister bei der Errichtung von Brücken. Berühmt wurde die Brücke von Mostar, erbaut von einem Schüler Sinans. Sie stellt ein Meisterwerk der Ingenieurkunst dar und ist heute ein Symbol für die Verständigung zwischen christlicher und islamischer Welt. Denn die Brücke verbindet den muslimischen Ostteil der Stadt mit dem katholischen Westteil.
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Die berühmte Brücke von Mostar in Bosnien-Herzegowina wurde von einem Schüler Sinans errichtet.
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Skizzenbuch Leonardo da Vincis mit seinem Entwurf für die Galata-Brücke über das Goldene Horn.
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In der klassischen Zeit waren die osmanischen Sultane große Förderer der Künste und der Wissenschaften. Die Buchmalerei erlebte in ihrem Reich eine Blüte, ebenso die Kalligrafie. Dichter und Musiker waren so hoch angesehen wie Mathematiker, Astronomen und andere Forscher. Der Enkel Süleymans, Sultan Murad III., ließ in Konstantinopel ein Riesenobservatorium errichten, ein Meisterwerk der Technik. Die Weltkarte des Piri Reis, eines osmanischen Admirals, entstand 1513 in Konstantinopel. Sie zeigt, dass der Transfer von Wissen aus Europa zu dieser Zeit gut funktionierte, denn Amerika ist auf ihr bereits verzeichnet. Doch die Osmanen förderten nicht nur Künstler und Forscher aus ihrem Reich. Einige Sultane begeisterten sich auch für die europäische Kultur. Mehmed II. sprach fließend Griechisch und war mit den Werken Homers vertraut. Gerne ließen sich die Osmanen-Sultane von europäischen Malern wie Bellini und Tizian Porträts anfertigen. Die Pläne für eine Brücke über das Goldene Horn stammten von keinem Geringeren als dem italienischen Künstler und Wissenschaftler Leonardo da Vinci.
»Kaum ein anderes Volk wehrt sich so wenig gegen die guten Erfindungen anderer. «
Ogier Ghislain de Busbecq, Gesandter am Hof des Sultans
Süleyman herrschte über einen, so Josef Matuz, »nahezu perfekten Ordnungsstaat«, der in mancher Hinsicht seinen europäischen Konkurrenten überlegen war. Unter Süleyman schritten Zentralisierung und Rationalisierung der Bürokratie voran, wurden das Steuersystem vereinheitlicht und das Recht überarbeitet. Im Osmanischen Reich gab es keinen erblichen Adel: »Geburt unterscheidet hier keinen von den andern. Nach seiner Tugend wird ein jeder ausgezeichnet«, staunte Busbecq. Für das tägliche Regierungsgeschäft war der Großwesir verantwortlich, während der »großherrliche Diwan«, der Reichsrat, sich um Verwaltungsabläufe, Ernennungen und Gerichtsurteile kümmerte. Über allen aber thronte der Sultan als absoluter Herrscher.
Jede gesellschaftliche Gruppe hatte ihre Rechte und Pf lichten in diesem Staat. Die Last der Steuern trug die Landbevölkerung, zu der 90 bis 95 Prozent der osmanischen Untertanen zählten, die osmanische Elite blieb von allen Abgaben befreit. Doch anders als ihre Standesgenossen in Europa waren die osmanischen Bauern keine Leibeigenen, befanden sie sich in keinem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Grundherrn. Es war ein multiethnischer und multikonfessioneller Staat, in dem neben Türken auch Araber, Juden, Griechen, Armenier, Kurden, Roma und Slawen lebten: »Nichtmuslime waren im Osmanischen Reich kein Randphänomen«, erklärt Christoph Neumann. Eine wichtige Einnahmequelle für die Staatskasse war die Kopfsteuer, die von den christlichen und jüdischen
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